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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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gemacht?«
    Sie hatte sich nur auf die Stimme konzentriert. Der Tonfall war jetzt ein anderer. Sie war sich nicht sicher.
    »Pulla hat ihn ein bisschen hart rangenommen«, sagte sie.
    Er runzelte die Stirn. »Was soll das?«
    »Pulla hat ihn ein bisschen hart rangenommen. Würden Sie diesen Satz einmal sagen? Mir zuliebe?«
    »Geh nach Hause.«
    Sie drückte auf die Playtaste und hielt Massari das Gerät unter die Nase. Man hörte das Krachen im Funk und dann Massaris Stimme: »Pulla hat ihn ein bisschen hart rangenommen.«
    Der Polizist rührte sich nicht. Sein Gesicht war wie erstarrt, nicht einmal seine Pupillen bewegten sich.
    »Das ist doch Ihre Stimme.«
    »Wo hast du das her?«
    »Also hat Pulla ihn umgebracht? Wieso?«
    »Du …« Massari schüttelte den Kopf. »Gib mir das!«
    Sie ließ das Gerät in ihrer Jackentasche verschwinden und trat einen Schritt zurück. Er kontrollierte wieder mit einem Seitenblick, ob jemand auf der Straße war. Die Kreuzung war etwa fünfzig Meter entfernt. Dort leuchteten vier Straßenlampen im Dunst. An den meisten Reihenhäusern waren bereits die Läden geschlossen. Auf den geparkten Autos schimmerte der Tau.
    »Ich warne dich«, rief Massari, während Amanda zu ihrem Wagen rannte und die Tür aufriss. »Ich schwärze keinen Kollegen an.«
    Sie startete den Motor, ließ die Scheibe herunter und zischte im Vorbeifahren: »Danke, Sie haben mir sehr geholfen.«
33
    Die Halogenscheinwerfer summten leise, die Kameras surrten, ab und zu leuchtete ein Blitzlicht durch die Scheibe, obwohl es den Zuschauern auf der anderen Seite verboten war, Fotos zu schießen. Aber Pirri sonnte sich nicht in der öffentlichen Aufmerksamkeit, nichts konnte ihn jetzt ablenken. Von der ersten Minute an hatte er sich ausschließlich auf sein Spiel konzentriert. Er hatte sich am Vorabend an den ersten Tisch gesetzt und nur vier Stunden gebraucht, um als Sieger wieder aufzustehen. Drei Stunden Pause in seinem komfortablen Zimmer, dann saß er am nächsten Tisch. Von den 1295 Konkurrenten waren da nur noch 217 übrig. Am zweiten Tisch hatte er allerdings länger gebraucht. Sein Biorhythmus bremste ihn, er spielte von vier Uhr morgens bis elf, schlief zwei Stunden, spielte wieder, gewann, schlief, und nun saß er am Final Table. Er hatte es geschafft. Ein Gegner war bereits eliminiert, und Pirri war nun unter den fünf besten Poker-Spielern Italiens. Er hatte vier wichtige Hände gewonnen und besaß den drittgrößten Stack am Tisch. Wenn er unter die letzten vier kam, dann war ihm ein Preisgeld von 200 000 Euro sicher. Aber warum sollte er nur vierter werden? Nun würden zuerst die kleinen Fische gefressen werden, und dann gingen die Großkaliber aufeinander los. Zu denen auch er gehörte.
    Er würde endlich wieder seinen Kindern unter die Arme greifen. Seiner Tochter Anita, die in einer schäbigen Ein-Zimmer-Wohnung in Florenz saß und sich als ewige Praktikantin in Architekturbüros ausbeuten ließ. Seinem Sohn Emanuele, der seine Selbständigkeit dadurch unter Beweis gestellt hatte, dass er ausgerechnet zu den Fallschirmjägern gegangen und sich für den Irak gemeldet hatte.
    Vergessen die kleinlichen Sorgen um die freigespülte Stelle am Deichsockel, die Gastherme im Haus, die im Herbst wieder denDienst versagen würde. Selbst Vitos Tod hatte seinen grausamen Beigeschmack verloren. Die unangenehmen Erinnerungen echoten nur noch als ferner, angenehmer Widerhall am Rand seines Bewusstseins, sie bildeten die Grundierung seines Glücksgefühls. Wie gesagt: Man musste so lange den Einsatz erhöhen, bis man die entscheidende Hand gewann. Und dann aufhören. Das war die Kunst.
    Die Karten wurden gegeben. Pirri bekam ein Ass und eine Zehn dazu, beides in Karo. Er musterte seine Gegner. An den Ecken des Tisches saßen zwei dieser jungen Überflieger. Sonnenbrillen, Kapuzenpullis, blütenweiße Zähne. Innerhalb eines Jahres waren sie im Internet zu Legenden geworden. Der eine 22, der andere 23 Jahre alt. Sie spielten eiskalt, und dank ihrer Jugend hatten sie ein enormes Konzentrationsvermögen. Pirri musste sie über die Distanz schlagen. Er war 56, er hatte ein geringeres Schlafbedürfnis. Die nächste Pause war für drei Uhr morgens angesetzt. Ihm würden die vorgesehenen vier Stunden Schlaf reichen, den beiden Jungen nicht. Danach würden sie anfangen, Fehler zu machen. Pirri musste sich nur in diese Pause retten. Anschließend würden die beiden Jungen so müde sein, dass sie sich insgeheim nach dem Ende

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