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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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sehnten. Und das war das Ende eines Spielers. Antonio, der Spieler mit den langen Koteletten, hatte schon zwei Mal sein Blatt mit einer eindeutigen Grimasse der Enttäuschung kommentiert. Er hatte sein Mienenspiel nicht mehr unter Kontrolle.
    Ansonsten waren noch ein 50-jähriger Kaffeeröster aus Triest am Tisch und ein betagter Mathematikprofessor aus Neapel. Angeblich ein Stochastikgenie. Zwei respektable Hobbyspieler, der eine dank seines Familienvermögens, der andere dank seiner Intelligenz. Aber sie hatten schon einen Großteil ihrer Chips verloren. Sie spielten zu eintönig, der Kaffeeröster zu offensiv, der Professor zu defensiv. Pirri hatte ihnen jeweils über 80 000 Euro abgenommen.
    Der Mathematiker brütete eine Weile über seinen Karten und erhöhte dann. Allen am Tisch war klar, er hatte etwas in der Hand. Pirri ging mit, Antonio ebenfalls. Der Kaffeeröster stieg aus, ebenso Ghost, der andere Jüngling.
    Es kam der Flop. Für Pirri das zweite Ass und noch eine Zehn. Besser ging es kaum. Beppe Pirri konzentrierte sich darauf, keine Reaktion zu zeigen. Er überschlug, welche Kombinationen für die anderen möglich waren. Eine Sieben lag auf dem Tisch, neben Ass und Zehn. Im schlimmsten Fall war jemand mit einem Assen- oder Zehnerpärchen gestartet. Der Mathematiker erhöhte noch einmal zaghaft, Pirri ging mit und erhöhte noch einmal. Antonio schaute ihn interessiert an, ließ die Chips aufreizend langsam wie ein Jojo auf und ab prasseln und erhöhte dann seinerseits.
    Pirri musste sich zusammennehmen, um seinen Kehlkopf nicht zu bewegen. Er war verdattert. Entweder hatte Antonio soeben ein ungeschriebenes Gesetz gebrochen, nämlich dass man zuerst die kleinen Fische fraß, oder er zählte Pirri ebenfalls zu den kleinen Fischen. Der nur durch Zufall einen großen Stack hatte. Pirri merkte, wie ihm der Kamm schwoll, aber er durfte sich nicht provozieren lassen. Er strich sich bedächtig durch die grauen Locken und legte dann die Hände ab.
    Auf dem Turn kam ein weiteres Ass, also hatte niemand ein Assenpärchen haben können. Pirri lag vorn. Er durfte es nur nicht zeigen. Auch nicht, indem er plötzlich zerknirscht oder zögerlich tat. Das war der Unterschied zum Online-Poker: Die Gegner sahen ihn. Er musste alle Muskeln still halten, ohne Anspannung zu zeigen. Der Mathematiker passte und stieg aus, nachdem Pirri erhöht hatte. Antonio zog gleich und setzte 100 000 Euro.
    Pirri spürte, wie es an seinen Nackenhaaren kitzelte. Er spielte sämtliche Kombinationen durch. Was konnte Antonio haben? Ein Flush war unmöglich. Falls er mit einem Siebenerpärchen gestartet war, dann hatte er jetzt einen Drilling. Der war wenigerwert als Pirris drei Asse, die zudem von einem Zehnerpärchen komplettiert wurden. Full House mit Assen. War das ein Bluff ? Oder wollte Antonio sich tatsächlich über ihn lustig machen? Antonio hatte 800 000 Euro. Investierte er ein Achtel seines Stacks, um Pirri zu verhöhnen oder so zu reizen, dass er anschließend gravierende Fehler beging?
    Pirri nutzte eine altbewährte Technik. Er lenkte seine Gedanken auf die letzte harmonische Familienfeier, Anitas Diplomfeier, als sie mit dem Lorbeerkranz auf dem Kopf durch die Gassen von Florenz gezogen war, ihre Kommilitonen im Schlepptau, die obszöne Lieder anstimmten. Emanuele hatte Heimaturlaub, Pirri lud zu einem opulenten Menü in einer traditionsreichen Trattoria der Altstadt. Anita in hochhackigen Schuhen und rotem Cocktailkleid. Sogar Pirris Frau Erica war aufgeblüht und hatte nach dem zweiten Glas Champagner die jugendliche Hitze auf den Wangen, die er so an ihr mochte.
    Pirri war selig, und er würde es bleiben. Er strich sich durch die Haare, strich über seinen kugelförmigen Bauch und ging mit. Dann erhöhte er, ohne den Blick zu heben, um weitere 100 000. Antonio lächelte ihn an. In seinem Blick lag die Arroganz des jungen Rebellen, der meint, unter seiner Kraft würde das Althergebrachte einfach zu Staub zerfallen. Aber gerade weil er jung war, wusste er nicht, wieviel Kraft und Zähigkeit auch in dem Althergebrachten steckte.
    Antonio ging All-In. Maximaleinsatz. Die Kameras blitzten. Pirri sah Anita in ihrem eigenen Architekturbüro über den Dächern von Florenz. Sich selbst und Emanuele in Neoprenanzug und Flossen auf einer Tauchbasis im Roten Meer. Die Zeit des Luxus würde wieder anbrechen. Die Croupiers zählten die Chips. Maximaleinsatz bedeutete: so viel wie der Schwächere von beiden hat. Pirri lächelte. Jetzt

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