Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
Vom Netzwerk:
Sie sich von bestimmten Aktivitäten losgesagt haben. Ohne äußeren Druck. Aus moralischer Überzeugung. Einen größeren Beweis Ihrer Rechtschaffenheit könnte es nicht geben. Also, wie gedenken Sie, unserer Organisation zu helfen?«
    »Nun, ich werde mich voll und ganz engagieren.«
    Der Sekretär nickte, schaute auf das einsame Blatt Papier, schaute auf und fragte: »Konkret heißt das?«
    Alberto Gasparotto nahm kurz Anlauf und sagte, ehe er bei seinem Anlauf stolpern konnte: »Ich möchte mich auf Ihrer Liste aufstellen lassen.«
    Der Sekretär riss den Kopf hoch. Er nahm die Lesebrille ab, klappte bedächtig die Bügel zusammen und schaute Gasparotto direkt in die Augen.
    »Listenplatz vierzig wäre frei. Aber Sie wissen, was damit verbunden ist, oder? Parteiarbeit ist Basisarbeit, Knochenarbeit. Sie werden sonntags an unserem Infostand stehen, Sie werden die Versammlungen in den verschiedenen Vierteln frequentieren und Flyer verteilen. Sie werden Eingaben machen und vortragen, damit das Publikum Sie kennenlernt. Sie werden ältere Damen vor dem Supermarkt ansprechen und an den Wohnungen klingeln. Sie werden Klinken putzen. Und …«, der Sekretär setzte eine Kunstpause und hob den Zeigefinger, »… Sie müssen Ihr Charisma einsetzen.«
    Gasparotto musterte den Sekretär genau. Was meinte dieser mit Charisma? Noch nie hatte jemand diesen Begriff im Zusammenhang mit ihm gebraucht. Er schaute wieder hilfesuchend Adelchi an.
    Dieser lächelte und klopfte Gasparotto auf den Unterarm. »Frisch von der Leber weg. Nenn ihm dein Ziel, und er sagt dir, wie du es erreichst. Ganz einfach. Aber ich glaube, die technischen Details solltet ihr unter euch besprechen.«
    Adelchi Schiavon erhob sich, umarmte zuerst den Parteisekretär und dann Gasparotto, wobei er diesen sanft in den Stuhl zurückdrückte. Mit drei zügigen Schritten war er aus dem Büro verschwunden. Die beiden hörten, wie er den Nebenraum durchquerte und wie die Aluminiumtür zur Via Ripagrande zufiel. Zudieser engen langen Straße, die ihren Namen der einstigen Funktion als Flussufer zu verdanken hatte. Gasparotto fühlte sich für einen Moment im Stich gelassen – und gleich darauf befreit und kühn. Er sagte mit fester Stimme: »Ich möchte einen Listenplatz, über den ich sicher in den Stadtrat komme, ich will kein Lückenbüßer sein.«
    »Hui«, sagte der Sekretär, »daher weht also der Wind. Sie wissen, dass man sich, wie ich eben schon andeutete, Verdienste erwerben muss, um bestimmte Privilegien zu genießen.«
    Gasparotto nickte heftig. »Dazu bin ich bereit. Auch in meiner ehemaligen Partei stand ich in dieser Hinsicht immer an erster Stelle.«
    Der Sekretär nickte, setzte die Lesebrille wieder auf und betrachtete die leere Kladde. »Das ist mir zu Ohren gekommen. Aber Sie haben die Partei gewechselt. So leid es mir tut, Sie fangen hier wieder von vorne an. Hätten Sie bereits ein Mandat inne oder eine große Popularität beim Wähler, dann wäre es etwas anderes. Aber so … werden Sie viel Geduld brauchen.«
    Gasparotto biss sich auf die Lippen. Er war 65. Mit 70 würde er keine politische Karriere mehr starten können. Er hatte sich ohnehin zu lange schon vertrösten lassen.
    »Es gibt doch sicher eine Möglichkeit, die Dinge ein wenig zu beschleunigen.«
    Der Sekretär runzelte die Stirn.
    »Ich meine, wenn jemand ein bestimmtes Kontingent an Zeit und Energie investiert, dann braucht er, wie Sie mir erklären wollen, eine bestimmte Anzahl an Jahren. Wenn man das Ganze verdoppelt oder verdreifacht … Nächstes Jahr sind Kommunalwahlen, und da möchte ich auf einem vielversprechenden Listenplatz stehen.«
    Der Sekretär lauschte einen Moment auf den gedämpften Lärm, der aus der Kneipe drang. Man hatte dort, nach anfänglichenSchwierigkeiten, eine allgemein akzeptierte Tonlage für die Fangesänge gefunden. Plötzlich jedoch brandeten Geschrei und Zwist auf. Die SPAL hatte am Vortag gespielt und gewonnen. Jetzt lief im Fernsehen offensichtlich ein Spiel aus einer anderen Liga. Und da waren die Sympathien nicht eindeutig verteilt.
    »Sie haben einen anstrengenden Beruf. Sie haben eine kranke Frau, wie ich erfahren musste. Um die Sie sich rührend kümmern. Wie wollen Sie all diese Zeit und Energie aufbringen?«
    Gasparotto schaute ratlos.
    »Oder hätten Sie sonst etwas zu investieren?«
    Gasparottos Rückenmuskulatur zog sich einen Moment zusammen. Er sah wieder den Geldeintreiber vor sich, den er aus seinem Haus geschmissen hatte.

Weitere Kostenlose Bücher