Acqua Mortale
in der Hütte einMensch aufhielt, würde er seine Position durch tiefe Frequenzen verraten, durch Schritte oder Klopfgeräusche. Ein Fensterladen quietschte im Wind. Zu sehen war nichts. Leider war das Sennheiser ein Monomikro, Lunau konnte also die Richtung der Geräuschquelle nicht erkennen. Er ließ das Mikro ein wenig schweifen, auf zehn Uhr, an der linken Seitenwand, war das Signal am stärksten.
Lunau robbte in einem weiten Bogen durch das hohe Schilf, kam von rechts auf die Hütte zu und presste sich mit dem Rücken an die Hauswand. Sie hatte die Hitze des Sonnentages gespeichert und strahlte die Wärme bis auf einen halben Meter Entfernung ab. Lunau sah die Schmalseite: alle Läden geschlossen, keine Spur im Schilf. Dann die Rückwand. Auch hier alles verrammelt und unberührt. Lunau hielt nach dem Boot Ausschau, mit dem Pirri sich vom Lido abgesetzt hatte. Nichts zu sehen. Hier war seit Monaten kein Mensch gewesen. Auch nicht die Polizei. Und die hatte weitaus bessere Chancen, Pirri aufzustöbern. Die Polizei konnte Abhebungen an Geldautomaten verfolgen, Handys orten, Telefone abhören. Lunau schob sich an die Hausecke und lugte herum. Da war der Fensterladen. Nicht verbrettert. Offensichtlich war der Eisenriegel aus dem morschen Holz gefallen, und jetzt schlugen die beiden Flügel im Wind. Mehr Leben war nicht in dem Haus.
Lunau richtete sich auf und ging zu seinem Koffer. Er würde morgen früh nach Berlin fliegen, dann konnte er noch am Vormittag im Büro sein. Er würde seine Hörstücke produzieren und die Fälle Marco Clerici und Vito Di Natale der Justiz überlassen.
Lunau schaute noch einmal in die offene Landschaft, an den Horizont, wo sich ein Schwarm Seemöwen als schwarze Sprenkel in dem Gemisch aus Blau- und Grautönen bewegten. Der Wind rauschte in seinen Gehörgängen, eine Ente schnatterte im Röhricht. Angenehme, beruhigende Geräusche. Geräusche, für diedas menschliche Gehör gemacht war, dachte Lunau. Keine keifenden U-Bahn-Gleise, zischenden Hydraulikbremsen, Lautsprecherdurchsagen, elektronische Warnsignale, Presslufthämmer und Überschallflugzeuge.
Er spürte einen sanften Luftzug an seiner Wange, und dann überschlugen sich die Ereignisse. Der Knall war so laut gewesen, dass Lunaus Trommelfelle pfiffen, aus dem Augenwinkel hatte er gesehen, wie Wasser aufspritzte. Jemand hatte auf ihn geschossen.
Er warf sich ins Schilf und sah sich um. Sollte er sich auf die Rückfront des Hauses schlagen? Aber falls der Schütze im Haus war, dann saß Lunau auf dem schmalen Streifen Festland in der Falle. Dahinter war nur noch das Meer. Sollte er sich ins Wasser schieben und wegtauchen? Noch ein Schuss fiel, mit einem hundertfachen Ploppen schlugen die Kugeln hinter Lunau ins Wasser ein. Schrot.
Lunau fingerte nach seinem Handy und schaltete es ein. Er wählte Balbonis Nummer, aber es sprang nur die Mailbox an. Danach probierte er es bei Amanda und hatte Glück.
»Bitte hör mir jetzt genau zu«, sagte er. »Du musst die Polizei verständigen. Ich glaube, ich habe Pirri gefunden. Er schießt auf mich.«
Amanda reagierte nicht. Sie quittierte die Nachricht mit beachtlicher Gleichgültigkeit. Lunau beschrieb, wo er sich genau befand.
»Aber komm nicht hierher, du musst Balboni oder sonst wen von der Polizei rufen.«
Dann legte er auf und stellte das Handy wieder ab. »Pirri!«, schrie er.
Pirri entfuhr ein Schmerzensschrei. Er schien sich beim Nachladen an den heißen Patronenhülsen verbrannt zu haben. Ein geübter Schütze war er also nicht.
»Ich bin Kaspar Lunau, der Journalist aus Deutschland. Ich will nur mit Ihnen reden!«, rief Lunau.
Einen Moment herrschte Stille. Lunau wollte sich aus der Schusslinie bringen, aber die Angst lähmte ihn. Er war unfähig, auch nur den Kopf zu heben. »Pirri, ich bin unbewaffnet.«
Keine Reaktion.
»Sie können mit mir alleine reden, oder ich rufe in Ferrara an, und dann marschieren hier Polizei und Presse auf. In einer Stunde weiß die ganze Stadt, dass Sie sich hier verschanzt haben.«
»Warten Sie!«, antwortete Pirri.
»Worauf ?«
»Ich muss nachdenken.«
Die Zeit dehnte sich ins Unendliche, aber Lunau brachte keinen Ton mehr heraus. Nach sieben Minuten quietschte der Fensterladen. Pirri schob die Waffe durch den Spalt. »Stehen Sie auf !«
»Nein.«
»Ich schieße nicht, solange Sie keinen Unsinn anstellen.«
Lunau erhob sich vorsichtig.
»Bleiben Sie da stehen, und nehmen Sie die Hände hoch!«
Man konnte nur den Doppellauf
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