Ada liebt
sagte Bo böse und er meinte, dass die ganze deutsche Geschichte eine
andere wäre, wenn die Knechte die Berater ihrer Herren gewesen wären und sich
nicht hätten herumkommandieren lassen.
Die Herren konnten zwar Latein und
rückwärts beten, sagte Bo, aber vom wirklichen Leben verstanden sie nichts, und
sein Gesicht war rot, weil er sich noch immer darüber ärgerte.
Was ist das wirkliche Leben, fragte
ich Bo und er sagte, das hier, heute Abend. Und ich sah auf die vier wollenen
Füße auf dem Tisch, die sich nicht berührten, das Buch auf meinem Schoß und die
Weingläser in unseren Händen, und ich hörte in der Ferne die Kühe unter dem
mondlosen Himmel und fragte mich, ob Bo recht hatte.
Kurz vor Mitternacht musste Bo noch
einmal zu den Kühen, und als im Stall das Licht anging, löschte ich die Kerzen
im Wohnzimmer und putzte meine Zähne. Bo hatte Kräuterzahncreme, wovon sich
nachts ein Pelz auf die Zähne legte.
Wenn ich bei Bo war, schlief ich
schlecht. Mir juckten die Füße, und wenn ich kratzte, wurde es schlimmer. Die
tiefe Dunkelheit bei Bo machte mir Angst, und die Angst und das Jucken trieben
mich in der Nacht durch das große Haus und ich rieb mir den Pelz von den Zähnen
und klebte ihn in Bos Vorhänge.
Bo schlief ruhig und tief, er bewegte
sich nie in der Nacht und er bemerkte nicht, wenn ich mein Sofa verließ und
herumlief. Hinter den Fenstern gab es keinen Himmel und keinen Mond. Bei Bo
herrschte Totalfinsternis und die Kühe und Schweine schliefen auch, denn ich
hörte sie nie.
Manchmal schlich ich mich zu Bo,
setzte mich leise auf seine Bettkante und beobachtete seinen gleichmäßigen
Schlaf. Ich näherte mich seinem Gesicht und inhalierte seinen Atem, der nach
Wurstbrot roch und nach Wein, und sog die spröde Luft seines Schlafes auf.
Bo schwitzte im Schlaf und manchmal
leckte ich mit der Zunge vorsichtig seinen Schweiß von der Stirn. Er schmeckte
salzig und alt und Bo verschmolz mit der Dunkelheit und ich steckte meine
juckenden Füße heimlich unter seine Bettdecke und passte auf, dass sie ihn
nicht berührten, weil Bo anders geladen war als ich.
Einmal flüsterte Bo im Schlaf, bleib
bei mir, und ich flüsterte, ja, und da hörte das Jucken auf und ich weiß noch,
dass ich mich über den Himmel wunderte, den für einen schimmernden Moment seine
Dunkelheit verlassen hatte.
10
Während des
Prüfungssemesters veränderte sich die Atmosphäre in der Universität spürbar.
Obwohl es ein heißer Sommer war und es die Menschen an die umliegenden Badeseen
zog, waren die Bibliotheken voll und die Mensa war leer. Es herrschte eine
angespannte Stimmung.
Die anderen Studenten fragten einander
ständig, ob sie dieses und jenes denn schon gelernt oder zumindest gelesen
hätten, und ein Mädchen weinte, als sie erzählte, sie habe das Große und Ganze
nicht verstanden. Ich fragte sie, wie sie sich so sicher sein könnte, dass es
so etwas gab, und da weinte sie noch mehr und ich hielt mich raus.
Die Professoren hingegen waren
entspannt. Sie stellten ihre abgewetzten Ledertaschen auf den Schreibtisch und
erzählten von der Durchfallquote vergangener Prüfungsdurchgänge und es war, als
huschte ein Anflug von Freude über ihre Gesichter, wenn sich die Augen ihrer
Studenten weiteten vor Schreck.
Ich blieb fern der Panik und zum
ersten Mal empfand ich es als großes Glück, dass sich um mich keine
Freundschaften oder Cliquen gebildet hatten während der letzten Jahre, sondern
nur oberflächliche Kontakte, die schnell vorbei waren. Jetzt konnte ich mich
aus der ganzen Aufregung heraushalten.
Warum bist du so allein, Ada, hatte mich
meine Mutter während eines ihrer Wochenendbesuche bei mir gefragt, denn ihr war
aufgefallen, dass mein Telefon in drei Tagen nur zwei Mal geklingelt hatte. Ein
Mal war es mein Vater, der sie vermisste und hoffte, sie würde es merken, wenn
er sie fragte, ob sie gut angekommen sei, und der andere Anrufer hatte sich
verwählt.
Ich bin nicht allein, hatte ich
gesagt, ich kann nur mit ihnen nichts anfangen und sie nicht mit mir. Sie
gehören aber dazu, hatte meine Mutter vorsichtig gesagt und ich fragte, wozu,
und sie sagte, zum Leben, und das Gespräch war vorbei.
Wir machten eine Fahrradtour durch die
Stadtparks und legten uns an einem See ins Gras. Die Sonne strahlte meiner
Mutter ins Gesicht und mir fiel auf, wie hübsch und jugendlich sie war, aber
ich konnte es ihr nicht sagen.
Wollen wir Enten füttern, sagte ich
und sie sagte, Ada, was soll das, und ich
Weitere Kostenlose Bücher