Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
Vertrauensstellung innehatte. Mr. Gerard war jünger und hatte dementsprechend moderne Arbeitsmethoden. Ich mußte mich auch an eine andere Persönlichkeit anpassen. Aber das ist in meiner Position bei einem Chefwechsel ganz normal.«
»Sie haben also gern für Mr. Etienne gearbeitet? Sie mochten ihn?« Das war der Sergeant. Dunkle, bezwingende Augen, die unerbittlich den Blickkontakt mit ihr suchten.
»Ich habe ihn respektiert«, sagte sie.
»Das ist aber nicht ganz dasselbe.«
»Man sucht sich seinen Chef nicht danach aus, ob und wie er einem gefällt. Ich glaube, ich fing an, mich an ihn zu gewöhnen.«
»Galt das denn auch umgekehrt? Und wie verhielt es sich mit der übrigen Belegschaft? Er hat anscheinend allerhand Veränderungen durchgeführt, nicht wahr? Das geht doch nie ohne Reibereien ab, besonders nicht in einem so bewährten und traditionsreichen Betrieb. Wir im Yard können auch ein Lied davon singen. War hier nicht die Rede von Entlassungen, Kündigungsdrohungen, einem möglichen Umzug in die Docklands, ja ging nicht sogar das Gerücht, Innocent House solle verkauft werden?«
Darauf hatte sie gesagt: »Mit solchen Fragen müssen Sie sich an Miss Claudia wenden. Mit mir hat Mr. Gerard nicht über seine Verlagspolitik gesprochen.«
»Im Gegensatz zu Mr. Peverell. Dieser Wechsel von der Vertrauten zur einfachen Sekretärin muß doch sehr hart gewesen sein.«
Sie antwortete nicht. Da beugte Inspector Miskin sich vor und sagte vertrauensvoll, gewissermaßen von Frau zu Frau, ja fast als wären sie zwei Freundinnen, die keine Geheimnisse voreinander zu haben brauchten: »Erzählen Sie uns doch was über die Schlange. Erzählen Sie uns von Hissing Sid.«
Also hatte sie ihnen geschildert, wie eine Aushilfssekretärin, an deren Namen und Anschrift sich inzwischen niemand mehr erinnern konnte, Weihnachten vor fünf Jahren die Schlange mit ins Büro gebracht hatte. Nach der Weihnachtsfeier hatte sie sie im Lektorat vergessen, und erst ein halbes Jahr später war die Schlange ganz hinten in ihrer Schreibtischschublade entdeckt worden. Blackie hatte sie fortan benutzt, um die Tür zwischen ihrem und Mr. Peverells Büro einen Spaltbreit offenzuhalten. Er mochte das so, damit er sie immer gleich rufen konnte, wenn er sie brauchte, denn er hegte seit jeher eine tiefe Abneigung gegen das Telefon. Hissing Sid war allmählich zu einer Art Verlagsmaskottchen geworden, das im Sommer bei der Themserundfahrt dabei war und auch auf keiner Weihnachtsfeier fehlte. Unter Mr. Etienne hatte Blackie die Schlange nicht mehr als Puffer um den Türgriff gewickelt; der hatte die Tür nämlich lieber geschlossen.
»Und wo«, fragte der Sergeant, »haben Sie die Schlange normalerweise aufbewahrt?«
»Sie lag eigentlich meistens oben auf dem linken Aktenschrank. Manchmal hing sie auch, lang baumelnd oder zusammengerollt, je nachdem, an einem Schubladengriff.«
»Und was ist nun gestern passiert, Miss Blackett? Mr. Etienne störte sich daran, daß Sie die Schlange im Büro hatten, nicht wahr?«
Sie bemühte sich, ruhig zu antworten. »Er kam aus seinem Zimmer und sah, daß Hissing Sid vom obersten Griff des Aktenschranks herunterhing. Er fand, so was passe nicht in ein Büro, und trug mir auf, die Schlange fortzuwerfen.«
»Und was haben Sie da gemacht, Miss Blackett?«
»Ich hab’ sie in meinem Schreibtisch verstaut, in der rechten oberen Schublade.«
Detective Inspector Miskin beugte sich vor. »Das ist jetzt sehr wichtig, Miss Blackett, und ich bin sicher, Sie sind intelligent genug, um zu verstehen, warum. Also – wer war noch in Ihrem Büro, als Sie die Schlange in die Schublade legten?«
»Nur Mandy Price, die bei mir im Zimmer sitzt, Mr. Dauntsey und Miss Claudia. Miss Claudia ist gleich danach mit zu ihrem Bruder ins Büro gegangen. Mr. Dauntsey gab Mandy einen Brief zum Abtippen und ging dann auch.«
»Und sonst war niemand dabei?«
»In meinem Büro nicht, nein, aber ich könnte mir vorstellen, daß der eine oder andere von denen, die dabei waren, es weitererzählt hat. Mandy zum Beispiel hat sicher nicht den Mund gehalten. Und falls jemand die Schlange gesucht haben sollte, hätte er ohnehin in meiner rechten Schublade nachgesehen. Das war sozusagen ihr angestammter Platz, wenn ich sie mal wegräumte.«
»Und Sie hatten nicht vor, sie wegzuwerfen?«
Jetzt, in der Rückschau, wußte sie, daß sie auf diese Frage zu heftig reagiert und daß ihre Stimme Zorn und Groll verraten hatte.
»Hissing Sid
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