Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
Gesellschafter hinter verschlossenen Türen im Sitzungssaal tagten und niemanden außer Mrs. Demery hereinließen, die ihnen mehrmals frischen Kaffee und Sandwiches hinaufbringen mußte. Es schien ihr, als gäbe es in ganz Innocent House keinen Platz mehr, wo sie erwünscht war oder sich noch zu Hause fühlen konnte.
Sie dachte über Mandys letzte Worte nach. Ob das Mädchen das auch der Polizei erzählt hatte? Daß Mr. Gerard sich ihr, Blackie, gegenüber hundsgemein benommen hatte? Bestimmt hatte sie das gesagt. Warum sollte Mandy irgend etwas, das ihr in Innocent House aufgefallen war, vertraulich behandeln? Sie als Außenseiterin, die erst in den Verlag gekommen war, als die fatalen Streiche längst begonnen hatten, konnte die ganze Aufregung unbeteiligt, ja fast amüsiert beobachten, denn sie war nicht nur völlig unschuldig, sondern auch frei von jeglichem persönlichen Engagement oder Loyalität. Mandy, deren flinken kleinen Augen nichts entging, war sicher ein Glücksfall für die Polizei. Und sie war lange vernommen worden, fast eine Stunde, also bestimmt länger, als ihre Stellung im Verlag rechtfertigte. Noch einmal und völlig fruchtlos, da ja jetzt nichts mehr zu ändern war, dachte Blackie über ihre eigene Vernehmung nach. Sie hatte nicht zu den ersten gehört, die hineingerufen wurden, konnte sich also in Ruhe vorbereiten und darüber nachdenken, was sie sagen würde. Und sie hatte es sich genau überlegt. Die Furcht hatte ihren Verstand geschärft.
Ihre Vernehmung hatte in Miss Claudias Büro stattgefunden, und es waren nur zwei Beamte dabeigewesen, die Kriminalinspektorin, Miss Miskin, und ein Kriminalmeister namens Robbins. Blackie, die angenommen hatte, daß Commander Dalgliesh sie befragen würde, war durch dessen Abwesenheit dermaßen aus dem Konzept gebracht, daß sie bei den ersten Fragen noch im Zweifel war, ob die Vernehmung überhaupt schon begonnen hatte, ja halb und halb erwartete, Dalgliesh jeden Moment in der Tür stehen zu sehen. Es überraschte sie auch, daß das Gespräch nicht aufgezeichnet wurde. In den einschlägigen Fernsehserien, den Lieblingsprogrammen ihrer Cousine, machte die Polizei das fast immer, aber vielleicht kam das ja auch noch, wenn sie erst einmal einen Hauptverdächtigen hatten und den- oder diejenige unter Rechtsmittelbelehrung verhörten. Und in so einem Fall hätte sie natürlich auch einen Anwalt dabei. Vorerst aber war sie allein auf sich gestellt. Eine Rechtsbelehrung hatte nicht stattgefunden, und nichts deutete daraufhin, daß es sich hier um mehr als ein Aufwärmgespräch, eine erste zwanglose Plauderei handelte. Die Kriminalinspektorin hatte die meisten Fragen gestellt, während der junge Beamte Notizen machte, aber ab und zu hatte auch er sich, ganz ohne Absprache mit seiner Vorgesetzten, eingemischt, und die Selbstverständlichkeit, mit der er das tat, verriet Blackie, daß die beiden gut aufeinander eingespielt waren. Beide waren sehr höflich, ja fast zuvorkommend gewesen, aber sie hatte sich dadurch nicht täuschen lassen. Sie führten schließlich trotz allem ein Verhör mit ihr, und da gehörten selbst Sympathiebekundungen und besondere Liebenswürdigkeit zur Taktik. Im Rückblick war sie direkt überrascht, wie klar sie das durchschaut und wie sie trotz aller Ängste in den beiden auf Anhieb den Feind gewittert hatte.
Zum Auftakt hatten sie ganz einfache, scheinbar harmlose Fragen gestellt, zum Beispiel nach der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit, den nächtlichen Sicherheitsvorkehrungen auf dem Anwesen, den Personen, die über Schlüssel verfügten und Zugang zur Alarmanlage hatten, und nach Blackies üblichem Tagesablauf; ja sogar wie ihre Mittagspause geregelt war, wollten sie wissen. Während Blackie ihnen antwortete, hatte sie sich allmählich etwas entspannt, obgleich sie natürlich wußte, daß die zwei genau das mit ihrer Fragerei bezweckten.
Dann hatte Detective Inspector Miskin gesagt: »Sie haben siebenundzwanzig Jahre lang für Mr. Henry Peverell gearbeitet. Und als er im Januar dieses Jahres starb und Mr. Etienne zum Geschäftsführer und Vorsitzenden von Peverell Press aufrückte, sind Sie seine Sekretärin geworden. Das muß doch eine ziemlich schwere Umstellung gewesen sein – für Sie und für den gesamten Betrieb.«
Darauf war Blackie gefaßt gewesen. Und sie hatte ihre Antwort parat.
»Es war natürlich eine andere Situation, ja. Ich hatte so lange für Mr. Peverell gearbeitet, daß ich mittlerweile gewissermaßen eine
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