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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Er sagte sich, daß er es durch Liebe gewonnen habe, aber vom Gefühl her betrachtete er es mit dem glühenden Besitzerstolz des Eroberers. Es gehörte von Rechts wegen ihm, und er würde eher ein Dutzend Gerard Etiennes töten, als dieses sein Reich wieder herzugeben. Vor Julie hatte ihn noch keine liebenswert gefunden. Unansehnlich, dürr, humorlos und schüchtern wie er war, wußte er wohl, daß er nichts Liebenswertes an sich hatte; schon die Jahre im Kinderheim hatten ihn das gelehrt. Der Vater starb einem nicht weg, und die Mutter ließ einen nicht im Stich, wenn man liebenswert war. Das Personal im Heim hatte, gemäß den pädagogischen Erkenntnissen der Zeit, sein Bestes getan, aber Liebe hatten die Kinder keine empfangen. Emotionale Zuwendung war, wie das Essen, sorgsam eingeteilt worden, damit sie auch ja für alle reichte. Die Kinder wußten, daß sie Verstoßene waren, und dieses Wissen hatten sie mitsamt dem täglichen Haferbrei in sich hineingelöffelt. Auf das Kinderheim folgte eine ganze Phalanx von Zimmerwirtinnen, möblierten Dachkammern und kleinen Mietwohnungen; es folgten Abendkurse und Prüfungen, wäßriger Kaffee, einsame Mahlzeiten in preiswerten Restaurants und karges Frühstück in einer Gemeinschaftsküche; es folgten einsame Vergnügungen und einsamer, unbefriedigender, Schuldgefühle nährender Sex.
    Heute kam er sich vor wie ein Mensch, der fast sein ganzes Leben unter Tage zugebracht hat. Mit Julie war er in die Sonne emporgetaucht und hatte plötzlich wie geblendet vor dieser ungeahnten Welt des Lichts und der Töne, der Farben und Empfindungen gestanden. Er war froh, daß Julie schon einmal verheiratet gewesen war, aber im Bett gab sie ihm das Gefühl, als sei sie die Unerfahrene, die zum erstenmal im Leben Erfüllung fand. Aber vielleicht war es ja auch wirklich so, dachte er. Ihm selbst hatte Sex mit ihr eine Offenbarung bedeutet. Er hätte nie geglaubt, daß es zugleich so einfach und so wunderbar sein konnte. Froh, ja erleichtert (wenn auch ein bißchen schuldbewußt) war er auch darüber, daß ihre erste Ehe unglücklich gewesen war und daß Terry sie verlassen hatte. So brauchte er sich nie davor zu fürchten, daß sie ihn mit einer verklärten und womöglich durch den Tod unsterblich gewordenen ersten Liebe verglich. Sie sprachen selten über die Vergangenheit; für sie beide waren die Menschen, die in dieser ihrer Vergangenheit lebten und gingen und sprachen, Fremde, die nicht mehr dazugehörten. Einmal, ganz am Anfang ihrer Ehe, hatte Julie zu ihm gesagt: »Ich habe immer gebetet, daß ich jemanden finden möge, den ich lieben und glücklich machen kann und der auch mich glücklich macht. Einen, dem ich ein Kind schenken könnte. Fast hatte ich die Hoffnung schon aufgegeben, und dann fand ich dich. Es kommt mir vor wie ein Wunder, Darling, wie ein Geschenk des Himmels.« Und ihre Worte hatten ihn so berauscht, daß er sich für einen Moment lang tatsächlich ganz überirdisch und erhaben fühlte. Er, der sein Leben lang nur erfahren hatte, was es heißt, ohnmächtig zu sein, war auf einmal von einem beseligenden Machtrausch erfüllt.
    Sydney Bartrum hatte sich bei Peverell Press immer wohl gefühlt, bis zu dem Tag, als Gerard Etienne die Verlagsleitung übernahm. Er wußte, daß er ein geachteter und gewissenhafter Buchhalter war. Er machte oft unbezahlte Überstunden. Er tat alles, was Jean-Philippe Etienne und Henry Peverell von ihm verlangten; und ihre Erwartungen konnte er sehr wohl erfüllen. Aber dann hatte der eine sich ins Privatleben zurückgezogen, und der andere war gestorben, und der junge Gerard Etienne hatte im Chefsessel Platz genommen. In den Jahren zuvor hatte Gerard im Verlag nur eine ganz kleine Rolle gespielt, aber er hatte den rechten Augenblick abgepaßt, hatte beobachtet, gelernt, sein Diplom in Betriebswirtschaft gemacht und Zukunftspläne entworfen, in die ein zweiundfünfzigjähriger Buchhalter mit einer Schmalspurausbildung nicht hineinpaßte. Gerard Etienne, dieser junge, erfolgreiche, gutaussehende und vermögende Erbe, der sich aus seiner privilegierten Stellung heraus immer und ohne die geringsten Skrupel alles genommen hatte, was er begehrte, dieser Gerard Etienne hatte ihn, Sydney Bartrum, um alles bringen wollen, was sein Leben ausmachte. Aber nun war Gerard Etienne tot. Er lag im Leichenschauhaus, mit einer Schlange im Schlund.
    Sydney drückte seine Frau fester an sich und sagte: »Komm, Darling, laß uns runtergehen und zu Abend essen.

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