Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
nicht auf die Schnelle so beschädigen können. Und warum den Tisch verrücken? Das konnte doch nur dann Verwirrung stiften und ein Mordszenarium vortäuschen, wenn unser Mann bereits wußte, daß Etienne an Kohlenmonoxydvergiftung gestorben ist.«
»Das muß er auch gewußt haben. Denn er hat das Gas abgedreht.«
»Das hätte er sowieso gemacht«, sagte Kate. »Dieses kleine Kabuff muß ja das reinste Treibhaus gewesen sein.« Und an Dalgliesh gewandt fuhr sie fort: »Sir, ich glaube, es gibt nur eine Theorie, die sich wirklich mit allen Indizien deckt. Dieser Tod sollte aussehen wie ein Unfall durch Kohlenmonoxydvergiftung. Der Mörder hatte es so geplant, daß er die Leiche finden würde, und zwar er allein. Dann hätte er nichts weiter zu tun brauchen, als den Gashahn wieder anzuschrauben und das Gas abzustellen – ohnehin eine ganz natürliche Reaktion –, dann Tisch und Stuhl zurückzustellen, die Kassette an sich zu nehmen und Alarm zu schlagen. Aber etwas ging schief: Er konnte die Kassette nicht finden, und als er sie schließlich doch entdeckte, da kam er nicht dran, ohne die Leichenstarre im Kinnbereich zu brechen. Er wußte, daß dieser Eingriff einem erfahrenen Kriminalbeamten oder zumindest den Gerichtsmedizinern nicht verborgen bleiben würde, und da verfiel er auf den Trick mit der Schlange, um einen Unfall in Kombination mit einem neuerlichen Streich des Possenreißers vorzutäuschen.«
»Aber warum«, wandte Daniel ein, »warum hätte er den Recorder mitnehmen sollen? Ich meine jetzt den Mörder.«
»Wozu ihn stehenlassen? Er mußte die Kassette verschwinden lassen, da konnte er auch gleich den Recorder mitnehmen. Das einfachste wäre gewesen, beides in die Themse zu werfen.« Wieder wandte sie sich an Dalgliesh. »Sehen Sie eine Chance, daß unsere Taucher die Sachen finden könnten, Sir?«
»Sehr, sehr unwahrscheinlich«, sagte Dalgliesh. »Und wenn, dann würde die Kassette uns nichts mehr nützen, denn der Mörder hätte sie doch ganz bestimmt gelöscht. Ich bezweifle, daß wir die Kosten einer Tauchaktion rechtfertigen könnten, aber vielleicht sprechen Sie doch mal mit den Leuten hier vom Revier. Finden Sie heraus, wie der Themsegrund in der Umgebung von Innocent House beschaffen ist.«
»Da ist noch was, das mich stört, Sir«, sagte Daniel. »Falls der Mörder seinem Opfer wirklich noch eine Nachricht zukommen lassen wollte, warum dann der Umstand mit der Kassette? Warum hat er ihm nicht einfach geschrieben? Zurückholen mußte er sich seine Botschaft so oder so, und bestimmt wäre es leichter gewesen, ein Stück Papier wiederzukriegen.«
»Aber auch riskanter«, wandte Dalgliesh ein. »Falls Etienne genug Zeit geblieben wäre, ehe er das Bewußtsein verlor, hätte er den Brief zerreißen und die Schnipsel an verschiedenen Stellen verstecken können. Und selbst wenn er ihn nicht zerrissen hätte, ein Brief läßt sich allemal leichter verbergen als eine Kassette. Der Mörder wußte, daß er vielleicht nicht viel Zeit haben würde. Er mußte seine Nachricht vom Tatort zurückholen und war darauf angewiesen, sie rasch zu finden. Aber es kommt noch etwas hinzu: Eine sprechende Stimme kann man nicht ignorieren, eine schriftliche Nachricht dagegen sehr wohl. Das eigentlich Interessante an diesem Fall ist die Frage, warum der Mörder überhaupt das Bedürfnis hatte, seinem Opfer eine Botschaft zu hinterlassen.«
»Um sich wichtig zu machen«, mutmaßte Daniel. »Um das letzte Wort zu behalten. Zu zeigen, wie klug er war.«
»Oder um jemandem zu erklären, warum sein Opfer sterben mußte«, sagte Dalgliesh. »Und wenn das der Grund war, dürfte das Motiv für diesen Mord nicht leicht zu erkennen sein. Es liegt vielleicht in der Vergangenheit, womöglich sogar sehr weit zurück.«
»Aber wenn es so wäre, warum hat der Mörder dann so lange gewartet? Wenn er, wie wir vermuten, ein Verlagsangehöriger ist, dann hätte er Etienne doch seit gut zwanzig Jahren umbringen können, jederzeit. Etienne trat ja gleich nach seinem Examen in Cambridge in den Verlag ein. Was ist in jüngster Zeit passiert, das den Mörder veranlaßt hat, ausgerechnet jetzt zuzuschlagen?«
»Etienne ist Geschäftsführer und Verlagschef geworden«, sagte Dalgliesh, »er wollte den Verkauf von Innocent House durchdrücken, und er hat sich verlobt.«
»Glauben Sie, die Verlobung könnte eine Rolle spielen, Sir?«
»Vorläufig müssen wir alles in Betracht ziehen, Kate. Ich habe morgen früh eine Verabredung mit
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