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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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in meinem Gästezimmer?«
    Sie konnte natürlich Gabriel anrufen. Was der wohl jetzt machte, in der schlichten, spärlich möblierten Wohnung unter ihr? Woran mochte er denken? Er hatte sich gleichfalls erkundigt: »Fehlt dir auch nichts, Frances? Ruf mich an, wenn dir die Decke auf den Kopf fällt.« Ach, hätte er doch statt dessen gesagt:
    »Macht es dir was aus, wenn ich mit raufkomme, Frances? Ich möchte heute abend nicht allein sein.« Statt dessen hatte er ihr den Schwarzen Peter zugeschoben. Ihn heraufzubitten kam jedoch wiederum dem Eingeständnis einer Schwäche, einer seelischen Not gleich, und damit wollte er vielleicht nicht behelligt werden. Was war nur los mit Innocent House, daß es den Menschen hier so schwerfiel, ein ganz natürliches menschliches Bedürfnis auszusprechen oder sich gegenseitig einfach ein bißchen Zuwendung zu schenken?
    Am Ende machte sie eine Dose mit Pilzsuppe auf und kochte sich ein Ei dazu. Sie war zum Umfallen müde. Der unruhige, immer wieder unterbrochene Schlaf gestern nacht in Gabriels Sessel war nicht gerade die beste Vorbereitung auf einen fast durchweg traumatischen Tag gewesen. Und doch wußte sie, daß sie jetzt keinen Schlaf finden würde. Also ging sie, nachdem das Geschirr vom Abendessen gespült war, hinüber in den kleinen Raum, der früher das Schlafzimmer ihres Vaters gewesen war und in dem sie inzwischen ein kleines Wohnzimmer eingerichtet hatte, und setzte sich vor den Fernseher. Eine Fülle bunter Bilder glitt an ihr vorüber: die Nachrichten, ein Dokumentarfilm, eine Seifenoper, ein alter Spielfilm, ein modernes Theaterstück. Während sie zwischen den Programmen hin und her schaltete, empfand sie die wechselnden Gesichter – feixende, lachende, ernste, gebieterische Gesichter, mit Mündern, die ständig auf- und zugingen – wie eine visuelle Droge, die zwar nichts bedeutete, kein Gefühl weckte, ihr aber die Illusion von Gesellschaft vorgaukelte: ein flüchtiger, trügerischer Trost.
    Um eins ging sie zu Bett und trank noch ein Glas Milch mit einem Schuß Whisky darin, der sofort seine Wirkung tat. Ihr letzter Gedanke, bevor sie wegdämmerte, war, daß sie nun also doch noch in den segensreichen Genuß des Schlafes käme.
    Der Alptraum suchte sie in den frühen Morgenstunden heim. Es war wieder der alte, sattsam bekannte Traum, nur kam er diesmal in neuem Gewand, was ihn noch furchtbarer und vor allem erschreckend echt erscheinen ließ. Sie ging zwischen dem Vater und Mrs. Rawlings durch den Greenwicher Fußgängertunnel. Die Erwachsenen hielten Frances an den Händen, aber die Berührung war nicht wohltuend, sondern gab ihr das Gefühl, gefangen, eingesperrt zu sein. Hinter sich hörte sie das Tunneldach verdächtig knirschen, aber sie traute sich nicht, zurückzuschauen, weil sie wußte, daß schon ein verstohlener Blick genügte, um die Katastrophe herbeizuführen. Vor ihr erstreckte sich der Tunnel endlos lang, viel länger als in Wirklichkeit, und an seinem Ende schimmerte ein Kreis hellen Sonnenlichts. Aber je weiter sie gingen, desto länger wurde der Tunnel, und der Lichtkreis schrumpfte und schrumpfte, bis er bloß noch wie eine schwach glänzende kleine Untertasse war, und sie wußte, daß er bald nur mehr ein Lichtpünktchen sein und dann ganz verlöschen würde. Ihr Vater ging hoch aufgerichtet, ohne sie anzusehen oder mit ihr zu sprechen. Er hatte den Tweedmantel mit dem kurzen Cape an, den er immer im Winter trug und den Frances nach seinem Tod der Heilsarmee geschenkt hatte. Er war böse, daß sie den Mantel weggegeben hatte, ohne ihn zu fragen, aber er hatte ihn im Fundus der Heilsarmee gefunden und wieder zurückbekommen. Es wunderte Frances nicht, daß er die Schlange um den Hals gewickelt hatte. Es war eine echte Schlange, riesengroß wie eine Kobra, die sich fortwährend streckte und wieder zusammenzog und, zischend vor Heimtücke und Bosheit, nur darauf lauerte, ihm die Kehle zuzudrücken. Die gekachelte Tunneldecke über ihnen war ganz naß, und schon fielen die ersten großen Tropfen. Aber Frances sah sehr wohl, daß es keine Wassertropfen waren, sondern Blut. Und plötzlich riß sie sich los und rannte schreiend auf das unerreichbare Lichtpünktchen zu, während das Dach über ihr krachend barst und einstürzte und die schwarze, alles auslöschende Woge des Todes sich ihr unaufhaltsam hinterherwälzte.
    Als sie erwachte, fand sie sich zusammengesunken vor dem Fenster wieder, und ihre Hände trommelten gegen die Scheiben. Mit dem

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