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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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durchgehalten, daß weder die Deutschen ihn je verdächtigten, noch seine Brüder in der Résistance ihn als Kollaborateur anprangerten. Sein ohnehin tiefes Mißtrauen gegen den Maquis hatte sich noch verstärkt, als 1943 eine der aktiveren Gruppen einen Zug in die Luft sprengte und seine eigene Frau bei dem Unglück ums Leben kam. Als der Krieg zu Ende war, wurde er als Held gefeiert, kein so bekannter wie Alphonse Rosier, Serge Fischer oder Henri Martin, aber in den Registern der Bücher über die französische Résistance fand sich immerhin sein Name. Er hatte sich seine Orden ebenso redlich verdient wie seinen Frieden im späteren Exil.
    Keine zwei Stunden nachdem er London verlassen hatte, bog Dalgliesh von der A12 erst nach Südosten, Richtung Maldon, ab und fuhr dann noch weiter östlich durch eine flache, wenig abwechslungsreiche Landschaft bis zu dem hübschen Dorf Bradwell-on-Sea mit seinem viereckigen Kirchturm und den rosa, weiß oder braun gestrichenen Schindelhäusern, vor deren Türen Körbe mit späten Chrysanthemen hingen. Er merkte sich das King’s Head als mögliches Restaurant fürs Mittagessen. Eine kleine Nebenstraße war als Zufahrt zur Kapelle St.-Peter-on-the-Wall ausgeschildert, und bald kam auch wirklich in der Ferne ein rechteckiger Turm in Sicht, der hoch gen Himmel ragte. Die Kapelle sah heute noch genauso aus wie damals, als er als Zehnjähriger von seinem Vater hergeführt worden war: in der Formgebung so schlicht und primitiv wie ein Puppenhaus. Hinter einem hölzernen Drehkreuz, das den motorisierten Verkehr aussperrte, zweigte ein unbefestigter Fußweg von der Landstraße zur Kapelle ab, aber das Sträßchen nach Othona House, das ein paar hundert Meter weiter rechts abging, war für den Kraftverkehr frei. Auf einem Hinweisschild, das schon ganz verwittert und kaum noch leserlich war, stand in handgemalten Buchstaben der Name des Hauses, dessen Dach und Schornsteine schon von fern erkennbar waren. Dieser Weg war anscheinend die einzige Zufahrt. Ein wirkungsvolleres Abschreckungsmittel hätte Etienne schwerlich finden können, dachte Dalgliesh und überlegte, ob er nicht lieber die halbe Meile zu Fuß gehen solle, statt seine Felgen zu gefährden. Mit einem Blick auf die Uhr stellte er fest, daß es fünf vor halb elf war. Er würde auf die Minute pünktlich sein.
    Der Weg zum Othona House war mit tiefen Furchen durchzogen, und in den Schlaglöchern stand noch das Wasser vom Regen der letzten Nacht. Auf der einen Seite der Zufahrt dehnte sich Ackerland, soweit das Auge reichte und ohne daß zwischendurch einmal eine Hecke oder ein Haus für Abwechslung gesorgt hätte. Zur Linken erstreckte sich ein breiter Graben, gesäumt von Brombeerbüschen, die sich unter ihrer Beerenlast bogen, und dahinter erhob sich ein lückenhafter Baumstreifen, die schrundigen Stämme dicht mit Efeu bewachsen. Das hohe, welke Gras zu beiden Seiten des Weges, an dem schon schwer und prall die Samenkapseln hingen, wiegte sich unruhig im Wind. Obwohl Dalgliesh ganz langsam und vorsichtig fuhr, ruckelte und schlingerte der Jaguar so arg, daß es ihm schon leid tat, nicht doch am Eingang zum Anwesen geparkt zu haben, aber da wurden die Schlaglöcher auf einmal weniger, die Spalten waren nicht mehr so tief, und auf den letzten hundert Metern konnte er sogar Gas geben.
    Das Haus lag hinter einer hochgewölbten Ziegelmauer, die verhältnismäßig neu wirkte, und war bis auf Dach und Schornsteine immer noch unsichtbar. Trotzdem war es nicht schwer zu erraten, daß der Eingang auf der Seeseite liegen mußte. Er folgte der Mauer in weitem Bogen nach rechts und sah das Haus zum erstenmal deutlich vor sich.
    Es war eine kleine, wohlproportionierte Villa mit warm getönter Backsteinfassade im Queen-Anne-Stil. Der Haupteingang war von einem Doppelgiebel gekrönt, dessen Wölbung im eleganten Schwung der Säulenhalle wiederaufgenommen wurde. Rechts und links vom Mitteltrakt erstreckten sich die Seitenflügel, beide identisch, mit achtfach unterteilten Fenstern unter einem Steinsims, verziert mit eingemeißelten Muschelschalen, der einzigen Reminiszenz an den Standort des Hauses. Gleichwohl wirkte es seltsam deplaziert und hätte mit seiner erhabenen Symmetrie und der harmonisch ausgereiften Architektur besser auf einen Domhof gepaßt als an diese öde, verlassene Landspitze. Einen direkten Zugang zum Meer gab es offenbar nicht. Zwischen der See und Othona House erstreckten sich etwa hundert Meter Salzsumpf, durchzogen von

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