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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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einmal Miss Blacketts stumme, ja fast schon verbissene Konzentration auf die Arbeit ihre Vorfreude zu trüben vermochte.
    Miss Blackett arbeitete inzwischen für Miss Claudia, die das Büro ihres verstorbenen Bruders übernommen hatte. Drei Tage nach Mr. Gerards Tod hatte Mandy mit angehört, wie Mr. de Witt sie dazu ermunterte. »Er hätte es bestimmt so gewollt. Du bist schließlich jetzt Geschäftsführerin und Vorsitzende von Peverell oder wirst es sein, sobald die Beschlußfassung durch ist. Und wir können das Zimmer doch auch nicht einfach leer stehen lassen.
    Gerard hätte bestimmt nicht gewollt, daß wir daraus so eine Art Gedenkschrein machen.«
    Von der Belegschaft hatten einige sofort nach dem Unglück ihre Kündigung eingereicht, aber diejenigen, die blieben, sei es freiwillig oder gezwungenermaßen, fühlten sich durch das kürzlich Erlebte, das eine uneingestandene Kameradschaft geschaffen hatte, bald enger verbunden als bisher. Gemeinsam warteten sie und grübelten, und wenn die Gesellschafter nicht anwesend waren, dann spekulierten und tratschten sie natürlich auch. Mandys wachen Augen und ihren feinen Ohren entging nichts. Sie selbst fühlte sich von Innocent House wie in einen geheimnisvollen Bann geschlagen. Jeden Morgen, wenn sie zur Arbeit ging, war sie getrieben von einer Mischung aus Aufregung und gespannter Erwartung, gewürzt mit einer Prise Furcht. Der kahle kleine Raum, in dem sie an ihrem ersten Arbeitstag auf die Leiche von Sonia Clements hinabgeschaut hatte, beherrschte ihre Phantasie so stark, daß das ganze Dachgeschoß, das im übrigen immer noch von der Polizei unter Verschluß gehalten wurde, etwas von der erschreckenden Sogkraft eines Kindermärchens angenommen hatte und Mandy wie ein Gruselkabinett erschien, ein verbotenes Terrain des Grauens. Gerard Etiennes Leichnam hatte Mandy nicht gesehen, aber in ihrer Vorstellung war er so plastisch präsent, wie es Traumgesichte oft sind. Manchmal malte sie sich vor dem Einschlafen aus, wie die beiden Toten zusammen dort lägen, Miss Clements in ihrer bedauernswerten Hinfälligkeit und neben ihr auf dem Boden ausgestreckt die halbnackte Männerleiche, deren matte, leblose Augen auf einmal blinzelten, Glanz bekamen und entsetzt zuschauten, wie die Schlange zuckend und Schleim absondernd zum Leben erwachte, wie ihre rote Zunge vorschnellte, um den toten Mund zu ertasten, wie die Muskeln des Reptils sich spannten, um seinem Opfer noch den letzten Atemhauch auszupressen. Aber diese Einbildungen, das wußte Mandy, waren noch kontrollierbar. In der sicheren Gewißheit ihrer eigenen Unschuld, sich selbst nie ernsthaft in Gefahr wähnend, konnte sie das Hochgefühl simulierten Schreckens durchaus genießen. Doch sie wußte auch, daß Innocent House von einer Furcht vergiftet war, die weit über ihre eigenen, nicht ganz unergötzlichen Phantasievorstellungen hinausging. Gleich wenn sie sich morgens vom Motorrad schwang, stieg ihr diese Furcht in die Nase wie der Nebel, der vom Fluß herkam, und der Geruch verdichtete sich, ja umhüllte sie ganz und gar, sobald sie durch die Eingangstür schritt. Sie sah die Furcht in Georges besorgtem Blick, wenn er sie grüßte, in Miss Blacketts angespanntem Gesicht und in ihren ruhelosen Augen, in Mr. Dauntseys Schritt, wenn er sich, plötzlich alt geworden und aller Kraft beraubt, mühsam die Treppe hinaufquälte. Sie hörte Furcht in den Stimmen aller Gesellschafter.
    Am Mittwoch morgen, kurz vor zehn, hatte Miss Claudia die Angestellten zu einer Besprechung in den Sitzungssaal gebeten. Miss Blackett nahm den Anruf entgegen. Als sie den Hörer auflegte, sagte sie: »Sie auch, Mandy. Jetzt gehören Sie also zu uns«, und Mandy hatte unwillkürlich so etwas wie Genugtuung empfunden.
    Alle waren gerufen worden, sogar George, der die Vermittlung kurzfristig auf Anrufbeantworter umgestellt hatte, und auch Fred Bowling, der Fährmann. Man hatte noch zusätzliche Stühle hereingeschafft und im Halbkreis aufgestellt. Die Chefs saßen am Tisch, Miss Peverell rechts von Miss Claudia und Mr. de Witt und Mr. Dauntsey zu ihrer Linken. Leicht befangen nahmen die Angestellten den vier Gesellschaftern gegenüber Platz, wobei sie zuerst nur die zweite Stuhlreihe besetzten, und Mandy spürte deutlich das kollektive Gewicht von Spannung, Erwartung und Bangigkeit, das auf der Versammlung lastete.
    Während die letzte Nachzüglerin mit rotem Kopf zu ihrem Platz in der ersten Reihe huschte und die Saaltür geschlossen wurde,

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