Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
Zimmer, das die ganze Hausfront einnahm. Die Vorhänge vor den beiden hohen Fenstertüren zum Balkon waren zugezogen und sperrten Nacht und Themse aus. In einem Korb neben dem Kamin war rauchlos brennende Kohle aufgeschichtet. Mr. de Witt schob das Messinggitter vor der Feuerstelle beiseite und dirigierte Mandy in einen der hochlehnigen Sessel. Plötzlich umsorgte man sie so geflissentlich wie einen Gast; vielleicht machen sie das, dachte Mandy, weil sie wenigstens was zu tun haben, wenn sie mich bemuttern.
Miss Peverell beugte sich zu ihr hinunter. »Es tut mir ja so leid, Mandy. Zwei Selbstmörderinnen, und Sie haben alle beide gefunden. Zuerst Miss Clements und nun… Was können wir Ihnen anbieten? Kaffee? Brandy? Wir hätten auch einen Rotwein. Aber Sie haben wahrscheinlich noch gar nichts gegessen, oder? Was ist, haben Sie Hunger?«
»Eigentlich schon, ja.«
Tatsächlich verspürte Mandy auf einmal einen Bärenhunger. Der warme, leckere Duft, der die Wohnung durchzog, war mit ihrem leeren Magen fast nicht auszuhalten. Miss Peverell wechselte einen Blick mit Mr. de Witt. »Bei uns sollte es Ente â l’Orange geben«, sagte sie. »Wie steht’s mit dir, James?«
»Danke, ich bin nicht hungrig, aber Mandy könnte bestimmt einen Bissen vertragen.«
Mandy dachte: Sie hat nur gerade mal zwei Portionen. Wahrscheinlich im Feinkostladen gekauft. Schön für die, die sich’s leisten können! Miss Peverell hatte offenbar ein trauliches Dinner zu zweit geplant und sich dabei viel Mühe gegeben. Ein runder Tisch am anderen Ende des Zimmers war mit weißem Leinen gedeckt, an jedem Platz standen drei funkelnde Gläser und in der Mitte zwei kleine silberne Leuchter mit frisch aufgesteckten Kerzen, die noch nicht angezündet waren. Beim Nähertreten sah Mandy, daß der Salat schon aufgetragen war; zarte Blättchen, rote und grüne gemischt, waren mit gerösteten Nüssen und Käsestreifen in kleinen Holzschalen angerichtet. Eine Flasche Rotwein war bereits entkorkt, der weiße stand noch im Weinkühler. Mandy verspürte keinen Appetit auf den Salat. Sie hatte Heißhunger auf etwas Warmes, Kräftiges.
Sie sah auch, daß Miss Peverell sich nicht nur mit dem Essen angestrengt hatte. Der blaugrün gemusterte Zweiteiler mit dem Faltenrock und der Überbluse mit Schärpe an der Hüfte war aus reiner Seide und schmeichelte ihrem Teint. Natürlich zu altbacken für sie, zu konventionell, dachte Mandy, auch ein bißchen langweilig und der Rock viel zu lang. Ihre Figur kam darin überhaupt nicht zur Geltung, und dabei hätte Miss Peverell sehr attraktiv sein können, wenn sie es nur verstanden hätte, sich anzuziehen. Die Perlen, die auf dem seidenen Kragen schimmerten, waren höchstwahrscheinlich echt. Hoffentlich weiß Mr. de Witt es zu schätzen, daß sie sich so für ihn ins Zeug gelegt hat, dachte Mandy. Sie wußte von Mrs. Demery, daß er schon seit Jahren in Miss Peverell verliebt war. Und jetzt, wo Mr. Gerard aus dem Weg war, sah es ganz so aus, als käme er endlich auch mal zum Zug.
Die Ente wurde mit Erbsen und neuen Kartoffeln serviert. Mandy, deren Unsicherheit auf gesellschaftlichem Parkett der Hunger weggewischt hatte, machte sich mit gewaltigem Appetit darüber her. Die beiden setzten sich zu ihr an den Tisch. Sie aßen nichts, tranken aber jeder ein Glas Rotwein. Dabei bedienten sie sie so beflissen, als ob sie sich irgendwie für das Geschehene verantwortlich fühlten und es wiedergutzumachen suchten. Miss Peverell drängte ihr eine zweite Portion Gemüse auf, und Mr. de Witt füllte ihr Glas nach. Von Zeit zu Zeit gingen beide nach nebenan, wo Mandy die Küche vermutete. Von dort konnte man anscheinend die Innocent Lane überblicken, und Mandy erriet an den gedämpften Stimmen, die undeutlich herüberdrangen, daß sie, während sie nach der Polizei Ausschau hielten, Dinge besprachen, die sie in ihrer Gegenwart nicht äußern wollten.
Sie nutzte die vorübergehende Abwesenheit der beiden, um sich beim Essen etwas gründlicher im Zimmer umzusehen. Dessen schlichte Eleganz war zu steif, zu konventionell für Mandys exzentrischen Geschmack, aber sie gestand sich ein, daß der Gesamteindruck in Ordnung war, falls man auf so was stand und außerdem noch das nötige Kleingeld dafür hatte. Aber schon die Farbkombination hatte in ihren Augen so gar keinen Pep, nichts als zarte Blaugrüntöne mit ein paar rosenroten Akzenten. Die üppig drapierten Satinvorhänge hingen an betont schlichten Gardinenstangen; rechts und
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