Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
einbiegen.«
»Und hast du auch sehen können, wer drin saß?«
»Dazu war ich schon zu weit weg. Wahrscheinlich hätte ich sie sowieso nicht bemerkt. Aber den Fahrer, den hab’ ich gesehen. Es war ein Schwarzer, ein großer, kräftiger Mensch. Die Polizei denkt, sie werden ihn ausfindig machen können. Schwarze Taxichauffeure gibt’s ja noch nicht allzu viele bei uns.«
Bartrum kam vom Telefonieren zurück. Er räusperte sich nervös, wie es seine Angewohnheit war, und sagte: »Tja, dann will ich mal. Danke, Miss Peverell, besten Dank, aber ich trinke keinen Kaffee mehr mit. Ich möchte so rasch wie möglich heim. Die Polizei meinte, sie brauchen mich nicht mehr. Ich habe ihnen alles erzählt, was ich weiß, und daß ich mit Mr. Dauntsey ab halb acht im Pub gewesen bin. Wenn sie doch noch Fragen haben sollten, ich bin morgen früh zur gewohnten Zeit im Büro. Das Leben muß schließlich weitergehen, nicht?«
Die falsche Munterkeit in seiner Stimme war ihnen allen unangenehm. Mandy, die von ihrem Teller aufsah, dachte einen Moment lang, er würde jetzt noch jedem reihum die Hand schütteln. Aber dann wandte er sich doch ohne weiteres zum Gehen, und Frances Peverell begleitete ihn hinaus. Mandy hatte den Eindruck, als seien sie froh, ihn loszuwerden.
Ein unbehagliches Schweigen senkte sich über den Raum. Eine normale Unterhaltung, der Small talk einer Party oder harmloses Geplauder über die Arbeit, all das wäre ihnen jetzt unpassend, ja fast anstößig erschienen. Innocent House und das Grauen des Todes waren alles, was sie gemeinsam hatten. Mandy spürte allerdings auch, daß die anderen ohne sie nicht so befangen gewesen wären. Denn jetzt, wo das Band des gemeinsam erlittenen Schocks und Schreckens sich langsam löste, erinnerten sie sich wieder daran, daß sie ja nur die Aushilfstippse war, das Mädchen, das mit Mrs. Demery in der Küche Büroklatsch austauschte. Wenn man sich nicht vorsah, würde die ganze Geschichte morgen früh schon in ganz Innocent House herumsein, also empfahl es sich, so wenig wie möglich zu sagen.
Von Zeit zu Zeit ging einer der drei hinaus, um bei Claudia Etienne anzurufen. Aus den kurzen Wortwechseln hinterher erriet Mandy, daß Miss Etienne nicht zu Hause war. Anscheinend gab es noch eine zweite Nummer, unter der sie es hätten versuchen können, aber Mr. de Witt sagte: »Warten wir lieber noch. Wir können sie später verständigen. Im Moment könnte sie hier ja sowieso nichts tun.«
Dann gingen Frances und Gabriel hinaus, um den Kaffee zu kochen, und diesmal blieb James de Witt bei Mandy. Er erkundigte sich, wo sie wohnte, und sie erzählte es ihm. Auch er meinte, sie solle heute abend besser nicht in einem leeren Haus allein bleiben. Oder würde vielleicht jemand dasein, wenn sie nach Hause kam? Mandy, die sich lange Erklärungen und Ärger ersparen wollte, log und sagte ja. Danach schien ihm keine weitere Frage mehr einfallen zu wollen, und so saßen sie stumm beieinander und horchten auf die leisen Geräusche aus der Küche. Mandy kam sich unwillkürlich vor wie damals im Krankenhaus, als sie mit ihrer Mutter im Warteraum gesessen hatte, während ihre Großmutter das letztemal operiert wurde. Es war ein schäbig eingerichteter, anonymer Raum gewesen, und sie hatten in unfreundlichem Schweigen jede auf ihrer Stuhlkante gesessen und sich so unbehaglich gefühlt, als hätten sie gar nicht das Recht, dort zu sein. Irgendwo außer Sicht- und Hörweite, das wußten sie, verrichteten die angeblichen Herrscher über Leben und Tod ihr technisch brillantes Werk, während sie beide nichts weiter tun konnten als warten.
Diesmal dauerte die Warterei zum Glück nicht lange. Sie hatten kaum ihren Kaffee ausgetrunken, als es unten an der Haustür klingelte. Keine Minute später traten die beiden jüngeren Kriminalbeamten, Miss Miskin und Mr. Aaron, ins Zimmer. Sie trugen jeder eine Art großen Aktenkoffer bei sich. Mandy überlegte, ob da wohl die technisch raffinierten Spurensicherungsgeräte drin waren, die in jedem Krimi vorkamen.
Inspector Miskin ergriff als erste das Wort: »Wir werden uns ausführlich unterhalten, sobald das Obduktionsergebnis bekannt ist. Jetzt haben wir nur ein paar Fragen an Sie. Als erstes: Wer hat die Leiche gefunden?«
»Das war ich«, sagte Mandy und wünschte, sie säße nicht noch immer vor dem abgegessenen Teller. Dieser Beweis ihres gesunden Appetits wirkte jetzt irgendwie unanständig. Aber warum fragt sie das überhaupt, dachte sie in einer
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