Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
Vom Netzwerk:
was genützt?«
    »Genau das gleiche wie bei Sonia. Wenn es schon sein mußte, daß wir uns von ihr trennen, dann hätte man es wenigstens anders machen können, schonend, ein bißchen einfühlsam.«
    James de Witt sagte sanft: »Frances, jetzt können wir nichts mehr für sie tun. Ich glaube, wir sollten die Polizei verständigen.«
    »Aber wir können sie doch nicht so da im Wasser liegen lassen. Das ist ja grauenhaft. Nein, obszön ist das! Wir müssen sie rausholen – wir… wir könnten künstliche Beatmung versuchen.«
    Er sagte geduldig: »Frances, sie ist tot.«
    Mandy kam es vor, als hätten die beiden sie ganz vergessen. Jetzt, wo sie nicht mehr allein war, wich die furchtbare, die lähmende Angst in ihr. Die Welt war, wenn vielleicht auch noch nicht wieder normal, so doch halbwegs vertraut und überschaubar geworden. Sie dachte: Er weiß nicht, was er tun soll. Er möchte es ihr recht machen, aber er mag die Leiche nicht anrühren. Allein würde er sie sowieso nicht rausziehen können, und es wäre ihm unerträglich, daß sie dabei hilft. Laut sagte sie: »Wenn Sie Mund-zu-Mund-Beatmung hätten versuchen wollen, dann hätte man sie sofort rausholen müssen. Jetzt ist es bestimmt zu spät.«
    Mit einer, wie ihr schien, großen Traurigkeit in der Stimme versetzte de Witt: »Es ist immer schon zu spät gewesen. Außerdem wäre es der Polizei nicht recht, wenn man sich an der Leiche zu schaffen macht.«
    Zu schaffen macht? Mandy fand die Formulierung irgendwie komisch. Sie unterdrückte ein Kichern, das ihr in die Kehle stieg, denn wenn sie jetzt anfing zu lachen, daß wußte sie, dann würde es in Tränen enden. Lieber Gott, dachte sie, warum tut er nicht endlich was, verdammt noch mal?
    »Wenn Sie beide hierbleiben«, sagte sie, »dann könnte ich ja die Polizei anrufen. Sie brauchen mir bloß den Schlüssel zu geben und sagen, wo das Telefon steht.«
    »Im Flur«, erwiderte Frances mit matter Stimme. »Und die Tür ist offen – das glaube ich wenigstens.« Plötzlich ganz kopflos wandte sie sich an de Witt: »Du lieber Gott, James, hab’ ich uns etwa ausgesperrt?«
    »Nein, nein«, sagte er geduldig. »Hier, ich hab’ den Schlüssel. Er steckte in der Haustür.«
    Er war schon im Begriff, ihn Mandy zu geben, als sie hörten, wie sich von der Innocent Lane her Schritte näherten. Gleich darauf erschienen Gabriel Dauntsey und Sydney Bartrum. Beide trugen gefütterte Regenmäntel, und seltsamerweise schien mit ihrem Auftauchen wieder so etwas wie Normalität einzukehren, ein beruhigendes Gefühl. Aber die beiden Männer erschraken offenbar ihrerseits, als sie die drei Gestalten erblickten, die ihnen reglos entgegenstarrten, und beschleunigten ihre Schritte.
    »Wir haben Stimmen gehört«, rief Dauntsey. »Ist was nicht in Ordnung?«
    Mandy nahm den Schlüssel, rührte sich aber nicht vom Fleck. Es eilte ja auch jetzt nicht mehr; die Polizei konnte Mrs. Carling nicht retten. Niemand konnte ihr mehr helfen. Und nun spähten noch zwei Augenpaare auf sie nieder, zwei weitere Stimmen taten stammelnd ihr Entsetzen kund.
    De Witt sagte: »Es ist Esme Carling. Sie hat einen Abschiedsbrief hinterlassen. Da, auf dem Geländer. Eine Philippika gegen uns alle.«
    Frances bat noch einmal: »Bitte, holt sie doch da raus.«
    Und jetzt übernahm Dauntsey das Kommando. Als Mandy ihn anschaute und sah, wie ungesund grünlich sein Teint im Schein der Kugellampen wirkte (fast fühlte man sich an Seetang erinnert) und wie die Falten sich gleich schwarzen Wunden in sein Gesicht gegraben hatten, dachte sie: Er ist ein uralter Mann. So was dürfte ihm nicht mehr passieren. Was kann er auch schon ausrichten?
    Dauntsey sagte zu de Witt: »Du und Sydney, ihr könntet sie von der Treppe aus hochhieven. Ich hab’ nicht mehr die Kraft.«
    Auf seinen Vorschlag hin wurde James plötzlich aktiv. Ohne weitere Einwände tappte er vorsichtig die glitschigen Stufen hinunter, wobei er sich mit einer Hand am Geländer festhielt. Mandy sah, wie er unwillkürlich schauderte, als das eiskalte Wasser seine Beine umspülte. Das beste wäre, dachte sie, Mr. de Witt würde die Leiche von der Treppe aus dirigieren und stützen, und Mr. Dauntsey und Mr. Bartrum würden von oben an dem Schulterriemen ziehen. Aber natürlich würden sie es nicht so machen. Und in der Tat war die Vorstellung, das Gesicht der Ertrunkenen könne langsam aus den Fluten emportauchen, während die Männer oben am Gurt zerrten, als wollten sie sie gleichsam noch ein zweites Mal

Weitere Kostenlose Bücher