Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
was sie immer noch nicht recht glauben konnte: den doppelten Lederriemen, der sich straff hinunterspannte zu der Abscheulichkeit in der Tiefe.
Mandy wußte nicht, wie lange sie dort gekniet hatte, bevor sie wieder fähig war, zu denken und sich zu bewegen, aber langsam roch sie jetzt das brackige Wasser, spürte den kalten Marmor unter ihren Knien und auch, wie ihr Herz allmählich ruhiger wurde. Ihre Hände an den Gitterstäben waren so steif geworden, daß schmerzhafte Sekunden vergingen, ehe sie die Finger freibekam. Sie richtete sich mühsam auf, und dann, mit einemmal, hatte sie Stärke und Entschlossenheit wiedergefunden.
Wie gejagt rannte sie über die Terrasse und den Hof, trommelte an die erstbeste Tür, Dauntseys, und drückte gleichzeitig fieberhaft seine Klingel. Die Fenster über ihr blieben dunkel, und sie verlor keine Zeit damit, auf eine Reaktion zu warten, von der sie ohnehin wußte, daß sie ausbleiben würde, sondern rannte ums Haus herum in den Innocent Walk und läutete dort bei Frances Peverell. Sie drückte den rechten Daumen auf die Klingel, während sie mit der linken Hand den Türklopfer bearbeitete. Hier hatte sie fast sofort Erfolg. Sie konnte keine eiligen Schritte auf der Treppe hören, aber plötzlich wurde die Tür aufgerissen, und sie sah James de Witt im Rahmen stehen, dicht hinter ihm Frances Peverell. Mandy stammelte unzusammenhängende Worte, deutete auf den Fluß, rannte los und vergewisserte sich nur noch, daß die beiden dicht hinter ihr waren. Und jetzt standen sie zusammen über das Geländer gebeugt und blickten in die Fluten. Mandy ertappte sich bei dem Gedanken: Ich bin nicht verrückt. Es ist kein Traum. Es ist immer noch da.
Sie hörte Miss Peverell keuchen: »Nein, ach bitte, lieber Gott, nein!« Dann wandte sie sich halb ohnmächtig ab, und James de Witt fing sie in seinen Armen auf. Doch Mandy hatte gesehen, wie sie sich vorher noch bekreuzigte.
»Schon gut, mein Liebling«, flüsterte er, »ist ja schon gut.«
Miss Peverell hatte das Gesicht an seiner Brust vergraben, und ihre Stimme klang gedämpft aus dem Jackett. »Nein, das ist es nicht, wie könnte es wohl gut sein.« Dann machte sie sich los und fragte mit erstaunlicher Ruhe und Entschiedenheit: »Wer ist das?«
De Witt riskierte keinen zweiten Blick auf das Ding im Wasser. Statt dessen löste er vorsichtig das Stück Papier vom Geländerknauf und hielt es sich dicht vor die Augen. »Esme Carling«, sagte er.
»Das darf nicht sein!« rief Frances. »Nicht noch einmal. Was
… was steht denn drin?«
»Ich kann’s kaum entziffern.« Er drehte sich um, damit das Licht von der Lampe am Ende des Geländers auf das Blatt in seiner Hand fiel. Es hatte fast keinen Rand, als ob die Seite genau passend für den Text zurechtgeschnitten worden wäre, und der scharfe Knauf des Geländers hatte das Papier durchbohrt und eingerissen. »Sieht so aus«, sagte er, »als hätte sie’s mit der Hand geschrieben. Es ist an uns alle gerichtet.«
Er strich die Seite glatt und las laut vor: »An die Gesellschafter von Peverell Press. Gott gebe, daß Ihr alle vor die Hunde geht! Dreißig Jahre lang habt Ihr mein Talent ausgebeutet, einen Haufen Geld mit mir verdient, mich als Autorin und als Mensch vernachlässigt, ja mich behandelt, als ob meine Bücher es nicht wert wären, Euer vornehmes Impressum zu tragen. Was versteht Ihr denn schon vom Schreiben und von Kreativität? Von Euch hat doch nur ein einziger je was zu Papier gebracht, und dessen Talent, oder was davon da war, ist schon vor vielen Jahren eingegangen. Ich bin es, ich und Autoren meines Kalibers, die Euren Verlag am Leben erhalten haben. Und jetzt habt Ihr mich ganz einfach abserviert. Nach dreißig Jahren bin ich erledigt, ohne jede Erklärung, ohne Einspruchsrecht, ohne eine Chance, etwas umzuschreiben oder zu überarbeiten. Schluß, aus, vorbei. Entlassen, so wie die Peverells seit Generationen ungerührt ihre unliebsamen Dienstboten entlassen haben. Ja, begreift Ihr denn nicht, daß mich das als Mensch wie als Schriftstellerin kaputtmacht? Wißt Ihr etwa nicht, daß ein Autor, der nicht mehr gedruckt wird, genausogut tot sein könnte? Aber eins kann ich immerhin noch, nämlich Euren Namen in ganz London durch den Dreck ziehen, und das werde ich, verlaßt Euch drauf. Das hier ist erst der Anfang.«
Frances Peverell stammelte: »Die Arme. Ach, die arme, arme Frau. James, warum ist sie nur nicht zu uns gekommen und hat sich ausgesprochen?«
»Hätte das denn
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