Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
prallgefüllte Kissen. Der Kamin selbst schien noch originalgetreu, eine prunkvolle Vorrichtung aus grauem Marmor mit wuchtigem Aufsatz, der Feuerrost gesäumt von einer Doppelreihe Zierkacheln mit Blumen, Obst und Vögeln als Dekor. Von jedem Ende des Simses starrten zwei Staffordshire-Hunde mit goldenem Halsband aus aufmerksamen, glänzenden Augen auf die gegenüberliegende Wand. Zwischen ihnen drängten sich allerlei Ziergegenstände; ein Krönungsbecher mit dem Bildnis George’ VI. und Queen Elizabeth’, eine schwarze Lackdose, zwei winzig kleine Kerzenhalter aus Messing, ein modernes Porzellanfigürchen von einer Frau mit Krinoline und Schoßhündchen, eine Vase aus geschliffenem Glas mit einem Strauß künstlicher Schlüsselblumen. Hinter dem Nippes lehnten zwei farbige Fotografien. Eine sah aus, als sei sie bei einer Preisverleihung aufgenommen worden: Esme Carling, umgeben von lauter angestrengt lächelnden Gesichtern, zielte mit einer Spielzeugpistole in die Kamera. Das zweite Bild zeigte sie bei einer Signierstunde. Und diese Aufnahme war offenbar sorgfältig gestellt worden. Neben der Autorin stand ein erwartungsvoller Käufer, den Kopf unnatürlich geneigt, um auch ja noch mit aufs Bild zu kommen, während Mrs. Carling die Füllfeder knapp über dem aufgeschlagenen Buch in der Schwebe hielt und verführerisch in die Kamera lächelte. Kate betrachtete die breiten Züge und versuchte, in den Hängebacken, dem kleinen Mund und der leicht gebogenen Nase das entsetzlich geschundene Gesicht der Ertrunkenen wiederzuerkennen, die man vor Innocent House aus der Themse gefischt hatte.
Dalgliesh konnte verstehen, daß Daisy sich in diesem heimeligen Zimmer mit seinen vielen Kissen und Polstern wohl gefühlt hatte. Auf dem breiten Sofa hatte sie gelesen, ferngesehen und auch einmal ein Stündchen geschlafen, bevor Mrs. Carling sie spät nachts wieder in die eigene Wohnung hinaufbrachte oder -trug. Hier fand sie Zuflucht vor den Schreckensbildern ihrer Phantasie in dem simulierten Horror, der fein säuberlich zwischen Buchdeckeln eingeschlossen war, ein gereinigtes, frei erfundenes Grauen, an dem man nippen, sich beteiligen und das man auch wieder beiseite legen konnte, ja das kein bißchen echter war als das künstliche Holzfeuer und sich ebenso leicht abstellen ließ wie dessen tanzende Flammen. Geborgenheit hatte sie hier gefunden, Gesellschaft und, ja, in gewissem Sinne auch Liebe, falls man darunter die zufriedenstellende Erfüllung beiderseitiger Bedürfnisse verstand. Dalgliesh warf einen Blick auf die Bücher. Im Regal standen reihenweise Taschenbuchausgaben von Kriminalromanen, aber ihm fiel auf, daß kaum etwas von lebenden Autoren dabei war. Mrs. Carling hatte offenbar eine Vorliebe für Schriftstellerinnen des sogenannten Goldenen Zeitalters. Die Bände sahen alle so aus, als wären sie oft und gründlich gelesen worden. Unterhalb der Krimis standen Sachbücher zum Thema: Studien über den Fall Wallace, über Jack the Ripper und einige recht berühmte viktorianische Mordfälle wie Adelaide Bartlett und Constance Kent. Auf den unteren Regalen prangte eine in Leder gebundene, goldbedruckte Ausgabe von Esme Carlings eigenen Werken, eine Extravaganz, die, so dachte Dalgliesh, wohl kaum von Peverell Press subventioniert worden war. Dieses an sich harmlose Zeugnis von Stolz und Eigenleben deprimierte ihn und weckte zugleich sein Mitleid. Wer mochte sie wohl erben, diese Hinterlassenschaft eines Lebens, das von Mord gelebt und vermutlich auch durch Mord geendet hatte? Auf welchem Bord in Wohnraum, Schlafzimmer oder Toilette würde sie einen ehrenvollen oder auch nur geduldeten Platz finden? Oder würde ein Antiquar sie als geschlossenen Posten aufkaufen und als Gesamtausgabe anbieten, deren Preis sich durch den grauenhaften und so makaber genregemäßen Tod der Autorin in die Höhe treiben ließ? Dalgliesh musterte die Titel, die so nostalgisch die dreißiger Jahre heraufbeschworen, erinnerte sich an den bärbeißigen Dorfpolizisten, der mit dem Fahrrad zum Schauplatz des Mordes strampelte und unterwegs dem Landadel seine Reverenz erwies, an Autopsien, die ein exzentrischer praktischer Arzt nach der Abendsprechstunde vornahm, und an unwahrscheinliche Verbrechensauflösungen in der Bibliothek. Wahllos griff er den einen oder anderen Band heraus und blätterte flüchtig darin herum. Tod auf dem Parkett, ein Roman, der offenbar im Milieu der Turniertänzer und ihrer Rivalitäten spielte, Mörderische Kreuzfahrt,
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