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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Die Tote im See, Die Mistelzweigmorde. Er stellte sie sorgfältig und ohne die geringste Herablassung zurück. Warum hätte er sich auch über eine Mrs. Carling erhaben fühlen sollen, die mit ihren Krimis wahrscheinlich mehr Menschen Freude bereitet hatte als er mit seinen Gedichten? Und wenn das Lesevergnügen auch nicht auf gleicher Ebene lag, wer wollte entscheiden, ob eins minderwertiger als das andere war? Sie hatte doch wenigstens die englische Sprache respektiert und sie nach bestem Vermögen angewendet. In einer Zeit, die rapide aufs Analphabetentum zusteuerte, war das immerhin etwas. Dreißig Jahre lang hatte sie ihren Lesern Morde geliefert, die ihrer Phantasie entsprangen, hatte ihnen das gerade noch erträgliche – weil fiktive – Gesicht der Gewalt gezeigt und Schreckensbilder heraufbeschworen, die sich spätestens beim versöhnlichen Happy-End bändigen ließen. Hoffentlich war jene letzte Begegnung mit der Realität, der sie hatte ins Auge sehen müssen, wenigstens halbwegs barmherzig gewesen.
    Kate war inzwischen in die Küche gegangen. Er folgte ihr, und gemeinsam nahmen sie das Durcheinander in Augenschein. Im Spülbecken türmte sich schmutziges Geschirr, die Bratpfanne stand umgestülpt auf dem Herd, und neben dem übervollen Abfalleimer lagen Konservendosen und zusammengedrückte Milchtüten am Boden. »Bestimmt hätte sie nicht gewollt, daß wir die Wohnung so vorfinden«, sagte Kate. »Pech für sie, daß ihre Mrs. Morgan ausgerechnet heute früh nicht kommen konnte.«
    Er warf ihr einen kurzen Blick zu, sah sie erröten und wußte, daß ihr die Bemerkung im nachhinein selbst unsinnig und töricht erschien und sie sie gern zurückgenommen hätte.
    Doch ihre Gedanken hatten sich in die gleiche Richtung bewegt. »Herr im Himmel, laß gnädig mich schauen mein Ende und die Anzahl meiner Tage: auf daß ich erkenne die Frist, die mir auf Erden beschieden ist.« Gewiß konnten nur die wenigsten dieses Gebet aufrichtigen Herzens sprechen. Das Beste, was man sich für den Abgang erhoffen oder wünschen konnte, war genügend Zeit, um noch selber den Müll wegzuschaffen, seine Geheimnisse den Flammen oder wenigstens dem Papierkorb anzuvertrauen und die Küche aufgeräumt zu hinterlassen.
    Während er Schubladen und Schranktüren öffnete, glaubte Dalgliesh sich sekundenlang wieder auf den Friedhof in Norfolk zurückversetzt, hörte die Stimme seines Vaters und hatte vor sich ein ganz unmittelbares Bild, kräftig und dicht und begleitet vom Geruch gemähter Wiesen, frisch gepflügter Norfolk-Erde und dem berauschenden Duft der Lilien. Die Gemeindemitglieder sahen es gern, wenn der Sohn des Pfarrers bei Dorfbegräbnissen zugegen war, und während der Schulferien nahm er auch immer teil, weil er so ein dörfliches Leichenbegängnis derart interessant fand, daß es ihm keine Last war, hinzugehen. Bei dem anschließenden kleinen Imbiß versuchte er dann seinen jungenhaften Heißhunger zu zügeln, während die Trauernden ihm den traditionellen gekochten Schinken und schweren Früchtekuchen aufdrängten und sich mit gedämpfter Stimme für sein Kommen bedankten.
    »Wirklich nett von Ihnen, Mr. Adam. Dad hätte sich bestimmt gefreut. Er mochte Sie sehr gern, unser Dad.«
    Und er hatte, den Mund ganz klebrig vom Kuchen, die erwartete Lüge gemurmelt: »Ich hab’ ihn auch sehr gern gehabt, Mrs. Hodgkin.«
    Draußen auf dem Friedhof hatte er zuvor zugesehen, wie der alte Küster Goodfellow und die Männer vom Bestattungsinstitut den Sarg in die sauber ausgehobene Grube hinabließen. Er hörte, wie die gute Norfolk-Erde dumpf polternd auf den Deckel fiel, und lauschte der ernsten Gelehrtenstimme seines Vaters, indes ein frischer Wind durch das schon leicht ergraute Haar des Pfarrers fuhr und seinen Chorrock blähte. Und dann stellte Adam sich den Mann oder die Frau vor, deren Leichnam im Totenhemd jetzt dort unten in dem ausgepolsterten Kunstseidenbett pompöser ruhte als jemals zu Lebzeiten, und er malte sich jedes Stadium des nun einsetzenden Verfalls aus: das modernde Leichentuch, das langsam verwesende Fleisch, den faulenden Sargdeckel, der schließlich über dem blanken Gebein einsinken würde. Schon von klein auf hatte er bei seiner regen Phantasie nicht an die glorreiche Verkündung der Unsterblichkeit glauben können. »Und mögen auch die Würmer diesen Körper zerstören ganz und gar, so werde ich am Tage der Auferstehung doch Gott in meinem Fleische schauen.«
    Sie gingen weiter in Mrs. Carlings

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