Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
Einzelheiten konnten bis zu ihrem Abendtreff in der »Oase« warten.
»Ich hab’ um ’ne Zulage gebeten«, sagte Mandy. »Und jetzt krieg’ ich zehn Pfund mehr die Woche… Ja, das hab’ ich auch gedacht… Nein, ich hab’ gesagt, ich bleibe… Ich komm’ gleich nach der Arbeit in die Agentur, und dann können wir in Ruhe über alles reden.«
Sie legte auf. Ist doch bezeichnend für Miss Blacketts sonderbare Verfassung, dachte sie, daß sie mir nicht mal vorhält, daß ich vom Büro aus keine Privatgespräche führen soll.
Normalerweise waren vor zehn Uhr längst nicht so viele Leute in der Küche. Diejenigen, die es vorzogen, sich ihren Kaffee selbst zu kochen, statt einen wöchentlichen Obolus für Mrs. Demerys Gebräu zu entrichten, erschienen sonst selten vor elf. Als Mandy jedoch an diesem Morgen vor der Tür stehenblieb, konnte sie von drinnen leises Stimmengewirr hören. Das Gespräch verstummte schlagartig, sowie sie die Tür öffnete. Die drinnen hoben schuldbewußt die Köpfe, doch dann wurde Mandy erleichtert und mit schmeichelhafter Aufmerksamkeit begrüßt. Mrs. Demery war natürlich anwesend und außerdem Emma Wainwright, Miss Etiennes magersüchtige ehemalige Assistentin, die jetzt für Miss Peverell arbeitete, ferner Maggie Fitz-Gerald und Amy Holden aus der Werbung, Mr. Elton von der Abteilung Rechte und Lizenzen und endlich Dave vom Lager, der unter dem fadenscheinigen Vorwand, daß ihnen drüben die Milch ausgegangen sei, von Nummer 10 herübergekommen war. Es duftete nach Kaffee, und irgendwer hatte auch Toast gemacht. In der Küche herrschte eine anheimelnd verschwörerische Atmosphäre, und doch konnte Mandy auch hier Angst und Furcht spüren.
»Wir dachten schon«, sagte Amy, »du würdest vielleicht heute gar nicht ins Büro kommen. Arme Mandy! Das muß ja einfach grauenhaft gewesen sein. Also ich an deiner Stelle, ich wär’ gestorben. So was aber auch – kaum taucht eine Leiche auf dem Gelände auf, mußt du sie natürlich finden. Aber jetzt erzähl doch mal! Ist sie ertrunken, oder hat sie sich aufgehängt oder was? Von den Chefs will ja keiner mit der Sprache raus.«
Mandy hätte darauf hinweisen können, daß zumindest Gerard Etiennes Leichnam nicht sie gefunden hatte. Statt dessen schilderte sie bereitwillig, was sich am Abend zuvor zugetragen hatte, aber noch während sie sprach, wurde ihr klar, daß sie die anderen enttäuschte. Sie hatte sich so auf diesen Augenblick gefreut, doch jetzt, da sie tatsächlich im Mittelpunkt des Interesses stand, widerstrebte es ihr auf einmal merkwürdigerweise, die Neugier ihrer Zuhörer zu befriedigen, fast als sei es etwas Unanständiges, Mrs. Carlings Tod zum Thema eines Kaffeeklatschs zu machen. Das Bild dieses leblosen, triefnassen Gesichts mit dem aufgelösten Make-up, das so nackt und wehrlos aussah in seiner Häßlichkeit, dieses Bild schwebte beständig zwischen ihr und den gierigen Augen ihres Publikums. Mandy verstand selbst nicht, was da mit ihr vorging, warum ihre Gefühle auf einmal so durcheinander waren und so absolut verwirrend. Dabei stimmte es, was sie vorhin zu Miss Blackett gesagt hatte; sie hatte Mrs. Carling nicht einmal gekannt. Also konnte sie wohl auch keine Trauer empfinden. Und für Schuldgefühle hatte sie keinen Grund. Was also war los mit ihr?
Mrs. Demery war unerklärlich schweigsam. Sie stapelte ruhig Tassen und Untertassen auf ihren Teewagen, aber ihre scharfen Äuglein sprangen blitzschnell von einem zum anderen, als ob jedes Gesicht ein Geheimnis berge, das ihr durch die geringste Unaufmerksamkeit entgehen könnte.
Maggie fragte: »Und hast du den Abschiedsbrief gelesen, Mandy?«
»Nein, ich nicht, aber Mr. de Witt. Sie hat sich mächtig über die Chefs ausgelassen – wie schlecht die sie behandelt hätten und wie sie’s ihnen heimzahlen würde. Sie wollte ihre Namen durch den Dreck ziehen, ja, ich glaube, so hat sie’s geschrieben. Aber ganz genau erinnere ich mich nicht mehr.«
Mr. Elton sagte: »Sie haben sie doch besser gekannt als die meisten von uns, Maggie. Schließlich haben Sie vor achtzehn Monaten diese Mordslesereise mit ihr durchgezogen. Nun erzählen Sie uns doch mal, was sie eigentlich für ein Mensch war.«
»Ach, sie war nicht verkehrt. Ich bin jedenfalls ganz gut mit ihr klargekommen. Sie konnte zwar manchmal ein bißchen anstrengend sein, aber ich bin schon mit viel Schlimmeren unterwegs gewesen. Und sie hatte wirklich ein Herz für ihre Fans. Da war ihr nichts zuviel. Immer
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