Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
daß es auch ihr guttun würde, mit Geschirr zu schmeißen und eine Runde zu flennen. Was geschah nur mit allen hier in Innocent House, auch mit ihr? War das die Wirkung, die ein gewaltsamer Tod auf die Menschen hatte? Sie hatte sich einen angenehm prickelnden, aufregenden Tag vorgestellt, angefüllt mit spannendem Tratsch und Spekulationen, und im Mittelpunkt des Interesses sie, Mandy Price. Statt dessen war es vom frühen Morgen an die reinste Hölle gewesen.
Die Tür ging auf, und Miss Etienne stand auf der Schwelle. Sie sagte kühl: »Maggie, Amy, Mandy, draußen wartet eine Menge Arbeit. Aber wenn Sie keine Lust drauf haben, wäre es besser, Sie sagen das freiheraus und gehen heim.«
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Dalgliesh hatte alle Gesellschafter aufgefordert, sich um fünfzehn Uhr im Sitzungssaal einzufinden, und eigens darum gebeten, daß auch Miss Blackett zugegen sei. Keiner der vier erhob Einwände, weder gegen die Vorladung noch dagegen, Blackie in das Treffen miteinzubeziehen. Auch die Oberbekleidung, die sie getragen hatten, als Esme Carlings Leiche gefunden wurde, hatten alle widerspruchslos und ohne Fragen zu stellen den Beamten von der Spurensicherung ausgehändigt. Aber schließlich, dachte Kate, haben wir es hier ja auch mit lauter intelligenten Menschen zu tun, die in so einem Fall nicht erst nach Gründen zu fragen brauchen. Es hatte auch keiner der Betroffenen den Wunsch geäußert, einen Anwalt hinzuzuziehen, und Kate überlegte jetzt, warum. Ob sie befürchteten, ein solches Ansinnen könne verdächtig vorschnell wirken? Oder vertrauten sie darauf, ihre Interessen selbst gebührend wahren zu können? Oder fühlten sie sich etwa durch die Gewißheit der eigenen Unschuld bestärkt?
Sie und Dalgliesh saßen auf einer Seite des Tisches, die Gesellschafter und Miss Blackett ihnen gegenüber. Bei ihrem letzten Zusammentreffen hier im Sitzungssaal hatte Kate seitens der vier Partner die unterschiedlichsten Gefühle wahrgenommen: Neugier, Schock, Trauer, Beklommenheit. Heute spürte sie nichts als Furcht. Die aber schien sich unter ihnen ausgebreitet zu haben wie eine Seuche, so daß man hätte meinen können, sie steckten sich gegenseitig an, ja infizierten sogar die Luft im Raum damit. Miss Blackett war freilich die einzige, die sich ihre Angst auch äußerlich anmerken ließ. Mit der behenden Anspannung eines gefangenen Tieres rutschte sie unablässig auf der Stuhlkante hin und her. Ihr Gesicht war kalkweiß, doch von Zeit zu Zeit brachen auf Stirn und Wangen hektische Flecken aus, wie die Male einer bösen Krankheit. Dauntsey, der auf einmal wie ein Greis wirkte, saß so resigniert da wie ein Patient in der Geriatrie, der nur noch auf seine Einweisung in ein Pflegeheim wartet. De Witt hatte sich dicht neben Frances Peverell gesetzt; seine Augen unter den schweren Lidern blickten wachsam. Frances Peverells Miene war angespannt, und sie fuhr sich ständig mit der Zunge über die Lippen. Claudia Etienne, die auf der anderen Seite neben ihr saß, war äußerlich noch am ehesten gefaßt. Sie bestach wie immer durch ihre vornehme Eleganz, und Kate, der auffiel, daß sie heute besonders sorgfältig geschminkt war, fragte sich, ob dies nun Trotzgebaren sei oder ein tapferer Versuch, dem psychologischen Chaos von Innocent House wenigstens im Kleinen den Stempel der Normalität aufzuzwingen.
Dalgliesh hatte Esme Carlings letzte Botschaft auf den Tisch gelegt. Das Blatt war jetzt in eine Plastikhülle eingeschweißt. Mit fast ausdrucksloser Stimme las er den Text vor. Keiner sagte etwas dazu. Auch Dalgliesh gab keinen Kommentar ab, sondern erklärte ganz ruhig: »Inzwischen glauben wir, daß Mrs. Carling an dem Abend, als Mr. Etienne starb, in Innocent House gewesen ist.«
Claudia fragte in scharfem Ton zurück: »Esme kam hierher? Und warum?«
»Vermutlich, weil sie Ihren Bruder sprechen wollte. Wäre das so unwahrscheinlich? Erst einen Tag vorher hatte sie erfahren, daß Peverell Press ihren neuen Roman nicht verlegen wollte. Sie hatte schon morgens versucht, Mr. Etienne zur Rede zu stellen, doch da hat Miss Blackett sie nicht vorgelassen.«
Blackie rief aufgebracht: »Aber er war in der Gesellschafterkonferenz! Und die unterbricht niemand! Ich hatte sogar Anweisung, nicht einmal dringende Telefonate durchzustellen.«
»Aber es macht Ihnen doch auch niemand einen Vorwurf, Blackie«, warf Claudia ungeduldig ein. »Natürlich war es ganz richtig von Ihnen, daß Sie die Person nicht vorgelassen haben.«
Als ob es gar keine
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