Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
mehr als eine Möglichkeit, wie eine Faser von der Jacke des Opfers an ihre Kleidung geraten sein könnte.«
Daniel setzte hinzu: »Und wir können drauf wetten, daß dieser Mörder verdammt genau gewußt hat, was er tat. Bestimmt hat er seinen Mantel ausgezogen, bevor er in ihre Nähe kam, und wahrscheinlich hat er sich auch hinterher noch mal vergewissert, daß an seinen Sachen keine Spuren sind.«
54
Mandy, die am nächsten Morgen eigentlich früh zur Arbeit hatte gehen wollen, stellte beim Aufwachen erstaunt fest, daß sie verschlafen hatte und daß es bereits Viertel vor neun war. Vermutlich hätte sie sogar noch länger geschlafen, wenn Maureen und Mike sich nicht wieder mal eine ihrer rituellen Kabbeleien über Zustand und Verfügbarkeit des Badezimmers geleistet hätten, ein Streit, den Maureen wie immer brüllend vom oberen Treppenabsatz führte, während Mike ebenso lautstark aus der Küche konterte. Eine Minute darauf wurde energisch an ihre Tür geklopft, und Maureen platzte, ohne auf ein »Herein!« zu warten, ins Zimmer. Mandy sah gleich, daß sie wieder mal eine ihrer Launen hatte.
»Mandy, dein Scheiß-Motorrad versperrt den ganzen Flur. Warum kannst du die Kiste nicht vorm Haus stehenlassen wie andere Leute auch?«
Diese Beschwerde kam immer wieder aufs Tapet. Mandy war vor lauter Entrüstung schlagartig hellwach.
»Weil irgend so ’n Arschloch sie klauen würde, darum. Die Maschine bleibt im Flur, basta.« Und schmollend setzte sie hinzu: »Wär’ wohl blauäugig, die Hoffnung, daß das Bad frei ist, oder?«
»Doch, rein kannste, wenn du’s aushältst, so wie’s ist. Mike hat wie immer einen Saustall hinterlassen. Wenn du baden willst, mußt du dir die Wanne selber saubermachen. Und er hat auch vergessen, daß er diese Woche dran ist mit Klopapierkaufen. Ich seh’ nicht ein, warum immer ich hier an alles denken und die ganze Arbeit machen soll.«
Der Tag ließ sich ja ganz fürchterlich an. Als Mandy am Abend zuvor heimgekommen war, hatte sie weder Maureen noch Mike angetroffen. Sie war zu Bett gegangen, hatte aber versucht, wach zu bleiben, und immer mit einem Ohr auf die Tür gehorcht, denn sie brannte darauf, ihre Geschichte loszuwerden. Aber dann war sie doch gegen ihren Willen eingeschlafen. Und jetzt hörte sie die beiden weggehen; zweimal rasch hintereinander wurde die Tür mit lautem Knall zugeschlagen. Maureen hatte sich nicht einmal dazu bequemt zu fragen, warum sie denn nicht zum Konzert zurückgekommen sei.
Als Mandy nach Innocent House kam, wurde es auch nicht besser. Sie hatte sich darauf gefreut, die Neuigkeit als erste erzählen zu können, aber die Chance war jetzt natürlich verpaßt. Die Gesellschafter waren alle frühzeitig erschienen. George, der gerade einen Anruf entgegennahm, warf ihr einen flehentlichen Blick zu, so als wäre ihm jedwede Hilfe willkommen. Die Nachricht war offensichtlich schon durchgesickert.
»Ja, ich fürchte, es ist wahr… Ja, es sieht nach Selbstmord aus
… Nein, Einzelheiten sind mir leider nicht bekannt… Wir wissen noch nicht, wie sie gestorben ist… Tut mir wirklich leid… Ja, die Polizei war hier… Bedaure… Nein, Miss Etienne ist im Augenblick nicht erreichbar… Nein, Mr. de Witt ist auch nicht zu sprechen… Vielleicht könnte einer von beiden Sie zurückrufen… Nein, tut mir sehr leid, aber ich weiß nicht, wann die Chefs wieder zu sprechen sind.«
Er legte auf und sagte: »Einer von Mr. de Witts Autoren. Keine Ahnung, wie der das so schnell spitzgekriegt hat. Vielleicht hat er in der Werbung angerufen, und Maggie oder Amy haben’s ihm erzählt. Miss Etienne hat mich angewiesen, so wenig wie möglich zu sagen, aber das ist nicht leicht. Die Leute lassen sich von mir nicht abwimmeln. Sie wollen unbedingt mit einem der Chefs sprechen.«
»Ich würde mich mit den Typen gar nicht abgeben«, antwortete Mandy. »Sagen Sie doch einfach: ›Falsch verbunden‹ und legen Sie auf. Wenn Sie das ’ne Weile durchhalten, werden die am anderen Ende schon kapitulieren.«
Die Halle war leer, und das Haus wirkte seltsam verändert, unnatürlich ruhig, gewissermaßen ein Haus, das Trauer trug. Mandy hatte erwartet, daß die Polizei dasein würde, aber nichts deutete daraufhin. Im Büro saß Miss Blackett an ihrem Computer und starrte wie hypnotisiert auf den Bildschirm. Mandy hatte sie noch nie so elend gesehen. Sie war sehr blaß, und ihr Gesicht wirkte über Nacht schrecklich gealtert.
»Fehlt Ihnen was?« fragte Mandy. »Sie sehen
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