Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
hatte sie ein aufmunterndes Wort für die, die um ein Autogramm anstanden, und sie hat jedes Buch mit einer individuellen Widmung versehen und den Leuten alles reingeschrieben, was die haben wollten. Kein Vergleich mit einem wie Gordon Holgarth. Alles, was die Leute von dem kriegen, ist eine unleserlich hingeschmierte Unterschrift, ein finsterer Blick und eine Wolke Zigarrenrauch ins Gesicht.«
»Aber was ist mit dem Selbstmord? Hätten Sie gedacht, daß Esme der Typ dafür ist?«
»Ja, gibt’s denn das überhaupt? Einen Selbstmordtyp? Ich weiß nicht, was das heißen soll. Aber wenn Sie mich fragen, ob es mich überrascht, daß sie sich umgebracht hat, dann lautet die Antwort, ja. Ich bin erstaunt. Baß erstaunt sogar.«
Endlich mischte Mrs. Demery sich ins Gespräch. »Wenn sie’s denn getan hat.«
»Ja, aber das muß sie doch wohl, Mrs. Demery. Sie hat schließlich einen Abschiedsbrief hinterlassen.«
»Komische Art von Abschiedsbrief, wenn Mandy sich richtig an das erinnert, was drinsteht. Ich müßte mir diesen Brief erst mal genau begucken, eh’ daß ich mich damit zufriedengeben tät’. Und die Polizei traut dem Wisch ja wohl auch nich’. Warum sonst hätten sie die Fähre kassiert?«
»Ach, sind wir deswegen heute morgen mit dem Taxi von Charing Cross abgeholt worden?« fragte Maggie. »Und ich dachte schon, am Boot wär’ was nicht in Ordnung. Fred Bowling hat kein Wort von der Polizei gesagt, als er uns abholen kam.«
»Dem ham’ sie bestimmt den Mund verboten. Aber die Fähre ham’ sie einkassiert, jawohl. In aller Herrgottsfrühe sind sie gekommen und ham’ sie abgeschleppt. Ich hab’ mir schon so was gedacht, wie sie heute früh nich’ da war, und da bin ich hin und hab’ Fred gefragt. Sie liegt unten in Wapping vorm Revier.«
Maggie, die gerade heißes Wasser über das Kaffeepulver in ihrer Tasse goß, hielt mitten in der Bewegung inne. »Sie wollen doch nicht etwa sagen, Mrs. Demery, daß die Polizei meint, Mrs. Carling sei ermordet worden?«
»Ich weiß nich’, was die Polizei denkt, aber was ich denk’, das weiß ich. Sie war keine, die wo Selbstmord macht, Esme Carling doch nich’, nee.«
Emma Wainwright saß am Kopfende des Tisches und umschloß mit skelettartigen Fingern ihre Kaffeetasse. Sie machte allerdings keine Anstalten zu trinken, sondern starrte nur unentwegt und wie hypnotisiert vor Ekel auf die feine Spirale schäumender Milch hinunter.
Jetzt blickte sie auf und sagte mit ihrer schroffen, kehligen Stimme: »Das ist schon die zweite Leiche, die Sie gefunden haben, Mandy, seit Sie nach Innocent House gekommen sind. Davor hat’s so was nie gegeben, hier bei uns. Bald wird man Sie nur noch Sensenmanns Tippse rufen. Und wenn Sie so weitermachen, werden Sie Mühe haben, eine neue Stelle zu finden.«
Wutentbrannt schleuderte Mandy ihr entgegen: »Aber bestimmt nicht soviel wie Sie. Denn ich seh’ wenigstens nicht so aus, als wär’ ich grade dem KZ entsprungen. Sie sollten sich mal im Spiegel angucken. Ekelhaft sehen Sie aus.«
Sekundenlang herrschte entsetztes Schweigen. Sechs Augenpaare streiften Emma mit raschem Blick und schauten gleich wieder weg. Die saß erst ganz still, sprang aber plötzlich ungelenk auf und schleuderte die Kaffeetasse in weitem Bogen bis ins Spülbecken, wo sie in tausend Stücke zerschellte. Dann gab Emma einen schrillen Klagelaut von sich, brach in Tränen aus und rannte aus der Küche. Amy schrie auf und wischte sich einen Spritzer heißen Kaffee von der Wange.
Maggie war schockiert. »Das hättest du nicht sagen dürfen, Mandy. Das war grausam. Emma ist doch krank, sie kann nichts dafür.«
»Und ob sie was dafür kann. Sie macht das doch bloß, damit die anderen sich gruseln. Außerdem hat sie damit angefangen. Sensenmanns Tippse hat sie zu mir gesagt. Aber ich bringe niemandem Unglück. Ist ja nicht meine Schuld, daß ich die beiden gefunden hab’, das war doch keine Absicht.«
Amy sah Maggie an. »Was meinst du denn, soll ich ihr nachgehen?«
»Laß sie lieber erst mal allein. Du weißt ja, wie sie ist. Sie kränkt sich, weil Miss Claudia sich jetzt statt ihrer Blackie als Assistentin genommen hat. Nicht umsonst hat sie Miss Claudia gesagt, daß sie Ende der Woche gehen will. Wenn du mich fragst, dann hat sie ganz einfach Angst. Was ich ihr nicht verdenken kann.«
Hin und her gerissen zwischen zorniger Selbstrechtfertigung und Reuegefühlen, die um so unangenehmer waren, als sie höchst selten darunter litt, dachte Mandy,
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