Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
lügen?«
»Vielleicht würde sie das, ich weiß es nicht. Aber wie die Dinge liegen, hat sie keine Veranlassung dazu. Wir waren wirklich seit sieben Uhr zusammen.«
»Und ihr habt nichts bemerkt, nichts gesehen und nichts gehört, vor lauter trauter Zweisamkeit«, höhnte Claudia. Ehe de Witt etwas erwidern konnte, fuhr sie fort: »Schon merkwürdig, nicht, wie eine dumme Kleinigkeit sich zum bedeutsamen Ereignis auswachsen kann. Wenn nicht irgendwer dieses Fax geschickt und Esmes Signierstunde abgesagt hätte, dann wäre sie an dem Abend vielleicht gar nicht nach Innocent House zurückgekommen, hätte nicht gesehen, was sie hier sah, und wäre womöglich noch am Leben.«
Blackie ertrug es nicht länger, erst die kaum verhüllte Feindseligkeit der neuen Chefin und nun diese Greuelvorstellung. Sie sprang auf und schrie: »Aufhören, bitte hören Sie doch endlich auf! Das ist ja alles gar nicht wahr. Es war Selbstmord. Mandy hat sie gefunden. Mandy hat’s doch gesehen. Sie wissen, daß sie von eigener Hand gestorben ist. Dieses Fax hat damit nichts zu tun.«
Claudia entgegnete hitzig: »Natürlich war es Selbstmord. Jeder andere Gedanke entspringt allein dem Wunschdenken der Polizei. Warum sich mit einem Selbstmord begnügen, wenn sich eine aufregendere Alternative bietet? Aber dieses Fax war vielleicht in Esmes Fall so was wie der berühmte Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt. Wer immer es geschickt hat, ist mitschuldig an ihrem Tod.«
Sie starrte Blackie unverwandt an, und die anderen drehten die Köpfe, als ob Claudia an einem unsichtbaren Draht gezogen hätte.
Und dann rief Claudia plötzlich: »Sie sind’s gewesen! Hab’ ich mir doch gleich gedacht. Ja, Sie waren’s, Blackie! Sie haben das Fax geschickt.«
Die anderen beobachteten entsetzt, wie Blackies Mund sich langsam öffnete, ohne daß ein Ton herauskam. Die Sekunden schienen sich zu Minuten zu dehnen, während sie den Atem anhielt, und dann, endlich, brach sie in haltloses Schluchzen aus.
Claudia stand auf, ging zu ihr und packte sie bei den Schultern. Einen Moment lang hatte es den Anschein, als wolle sie sie kräftig durchschütteln.
»Und was ist mit den übrigen Streichen? Mit den getürkten Fahnenkorrekturen und dem verschwundenen Bildmaterial? Geht das auch auf Ihr Konto?«
»Nein! Nein, wirklich, ich schwöre es! Von mir stammt nur das Fax, sonst nichts. Sie… sie hat so häßlich über Mr. Peverell gesprochen. Ganz furchtbare Dinge hat sie behauptet. Und es ist nicht wahr, daß er mich für eine Nervensäge hielt. Nein, er hatte mich gern. Und er hat sich voll auf mich verlassen. Ach Gott, ich wünschte, ich wäre tot, so wie er.«
Schwankend wandte sie sich um und stolperte unter heftigem Schluchzen zur Tür. Dabei hielt sie eine Hand weit ausgestreckt wie ein Blinder, der sich seinen Weg ertasten muß. Frances erhob sich halb, und de Witt war schon aufgesprungen, als Claudia ihn am Arm packte.
»Laß sie jetzt um Gottes willen in Ruhe, James. Wir sind nicht alle scharf drauf, uns an deiner Schulter auszuweinen. Einigen von uns ist es lieber, wenn wir unseren Kummer mit uns allein ausmachen können.«
James wurde rot, setzte sich aber abrupt wieder hin.
Dalgliesh sagte: »Ich denke, wir sollten hier abbrechen. Wenn Miss Blackett sich beruhigt hat, wird Inspector Miskin sich mit ihr unterhalten.«
»Kompliment, Commander«, sagte de Witt. »Wie clever von Ihnen, uns Ihre Arbeit machen zu lassen. Es wäre zwar barmherziger gewesen, Blackie allein zu verhören, aber das hätte länger gedauert, nicht wahr, und vielleicht auch nicht so schnell zum Erfolg geführt.«
Dalgliesh entgegnete ruhig: »Eine Frau mußte sterben, Sir, und meine Aufgabe ist es, herauszufinden, wie und warum. In einem solchen Fall steht Nachsicht leider nicht an erster Stelle.«
Frances schien dem Weinen nahe, als sie zu de Witt hinübersah. »Arme Blackie! Ach, mein Gott, die arme, arme Blackie. Was werden sie denn jetzt mit ihr machen?«
Claudia antwortete ihr. »Inspector Miskin wird sie trösten, und dann nimmt Dalgliesh sie in die Mangel. Oder wenn sie Glück hat, machen sie’s umgekehrt. Aber du brauchst dich um Blackie nicht zu sorgen. Wegen einem gewirkten Fax kommt man schon nicht an den Galgen, vermutlich ist so was nicht mal strafbar.« Und dann wandte sie sich plötzlich impulsiv nach Dauntsey um. »Gabriel, bitte verzeih mir. Es tut mir furchtbar leid, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr. Ich weiß nicht, was plötzlich über mich
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