Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
nicht wieder mit dieser alten Leier an, Frances«, fuhr Claudia auf. »Wozu wär’ denn das gut gewesen? Abgelehnt ist abgelehnt, basta. Und Esme wäre uns böse gewesen, selbst wenn wir ihr die Entscheidung bei Champagner und Hummer Thermidor im Claridge’s untergejubelt hätten.«
Dauntsey schien bislang seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Jetzt sagte er: »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Esme Carling etwas mit Gerards Tod zu tun hatte, aber es wäre wohl möglich, daß sie es war, die ihm die Schlange um den Hals gelegt hat. So was wäre auch eher ihr Stil.«
»Du meinst«, sagte Claudia, »sie hat die Leiche gefunden und beschlossen, gleichsam einen persönlichen Kommentar hinzuzufügen?«
Dauntsey fuhr unbeirrt fort: »Aber es paßt doch nicht, oder? Gerard muß ja noch am Leben gewesen sein, als sie hier ankam. Wahrscheinlich war er es sogar, der sie reingelassen hat«
»Muß nicht sein«, sagte Claudia. »Er könnte an dem Abend die Tür auch offen- oder nur angelehnt gelassen haben. So eine Nachlässigkeit in Sicherheitsdingen sähe Gerard zwar nicht ähnlich, aber auszuschließen ist es nicht. Jedenfalls könnte Esme sich auch, als Gerard schon tot war, noch irgendwie Einlaß verschafft haben.«
»Aber selbst wenn«, sagte de Witt, »warum sollte sie dann ausgerechnet ins kleine Archiv raufgehen?«
Momentan sah es so aus, als hätten sie Dalgliesh und Kate ganz vergessen.
»Na, um Gerard zu suchen«, sagte Frances.
»Aber hätte sie da nicht eher in seinem Büro auf ihn gewartet?« gab Dauntsey zu bedenken. »Sie hätte gesehen, daß er irgendwo im Haus war, denn seine Jacke hing ja noch über der Stuhllehne. Früher oder später mußte er also zurückkommen. Und dann die Schlange. Hätte Esme Carling überhaupt gewußt, wo sie die findet?«
Nachdem er so mit wenigen Sätzen die eigene Theorie zunichte gemacht hatte, versank Dauntsey wieder in Schweigen. Claudia sah ihre Partner der Reihe nach an, als wolle sie stillschweigend ihr Einverständnis zu dem erbitten, was sie jetzt vorzubringen gedachte. Und dann wandte sie sich Dalgliesh zu.
»Ich begreife natürlich, daß diese neue Erkenntnis, wonach Esme Carling am Abend von Gerards Tod in Innocent House war, ihren Selbstmord in einem ganz anderen Licht erscheinen läßt. Aber wie immer sie auch gestorben sein mag, von uns kann keiner die Hand im Spiel gehabt haben. Wir können alle nachweisen, wo wir gestern abend waren.«
Kate dachte: Sie möchte das Wort Alibi nicht in den Mund nehmen.
Claudia fuhr fort: »Ich war bei meinem Verlobten, Frances und James waren zusammen in Frances’ Wohnung, Gabriel war mit Sydney Bartrum im Pub.« Und an Dauntsey gewandt sagte sie schroff: »Wie mutig von dir, Gabriel, so kurz nach dem Überfall allein und zu Fuß ins Sailor’s Return zu gehen.«
»Ich bewege mich seit über sechzig Jahren allein auf meinen zwei Beinen durch meine Hauptstadt. Da wird ein Überfall mich nicht zwingen, meine Gewohnheiten zu ändern.«
»Und wie praktisch, daß du ausgerechnet um die Zeit hier weg bist, als Esmes Taxi ankam.«
De Witt sagte ruhig: »Nicht doch, Claudia, das war Zufall, weiter nichts.«
Doch Claudia sah Dauntsey an, als wäre er ein Fremder. »Und das Pub kann vielleicht sogar angeben, wann ihr dort eingetroffen seid, Sydney und du. Andererseits ist es natürlich so etwa die umtriebigste Kneipe diesseits der Themse, hat obendrein den längsten Tresen sowie einen Extrazugang vom Ufersteg aus, und dann seid ihr ja auch getrennt gekommen, nicht? Da bezweifle ich doch stark, daß sie präzise Angaben machen können, selbst wenn sich irgendwer an zwei bestimmte Gäste erinnern sollte. Und absichtlich werdet ihr doch wohl keine Aufmerksamkeit erregt haben, oder?«
Dauntsey entgegnete gleichmütig: »Dazu sind wir nicht hingegangen, nein.«
»Ja, warum wart ihr eigentlich da? Ich wußte gar nicht, daß du was fürs Sailor’s Return übrig hast. Hätte auch nicht gedacht, daß du dich in so ’ner Finte wohl fühlst. Ist doch viel zu rabaukig. Und daß ihr Kneipenbrüder seid, Sydney und du, also das war mir auch noch nicht aufgefallen.«
Es ist gerade so, dachte Kate, als würden sie einen Privatkrieg führen. Sie hörte Frances’ leisen, qualvollen Zwischenruf: »Nicht doch, ich bitte euch, hört auf!«
De Witt fragte kühl: »Ist denn dein Alibi verläßlicher, Claudia?«
»Das gleiche könnte ich dich fragen!« fuhr sie ihn an. »Oder willst du etwa behaupten, Frances würde nicht für dich
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