Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
zusammengewesen. Du hast mich eigens vom Archiv aus angerufen, sobald du mit der Leiche allein warst. Du hattest nur einen winzigen Augenblick Zeit. Und das erste, was dir in den Sinn kam, war dein Alibi. Du hast mir eingebleut, was ich sagen sollte. Du hast mich zum Lügen gezwungen.«
»Und auch das hast du natürlich jetzt der Polizei erzählt.«
»Ich hab’ ja gemerkt, wie das auf sie gewirkt hat, und nicht nur auf sie, jeder andere wird es genauso sehen. Und in Wahrheit war es doch so, daß du ohne mich mit dem Boot zurückgefahren bist. Du warst ganz allein mit Gerard in Innocent House. Und jetzt hast du alles geerbt, seine Wohnung, seine Aktien, das Geld von seiner Lebensversicherung.«
Sie spürte die schwere Türfüllung in ihrem Rücken. Als sie jetzt zu ihm aufblickte, sah sie schon bei ihren ersten Worten die Furcht in seinen Augen aufglimmen.
»Und da hast du jetzt gar keine Angst, hier mit mir allein zu sein? Ich hab’ schon zwei Menschen umgebracht, warum sollte ich da vor einem dritten Mord zurückschrecken? Wer weiß, vielleicht bin ich ja so eine Art Triebtäterin, eine Wahnsinnige im Mordrausch, kann man doch nicht wissen, oder? Mein Gott, Declan! Glaubst du denn allen Ernstes, ich hätte Gerard getötet, einen Mann, der zehnmal soviel wert war wie du, bloß um dir den Laden hier zu kaufen und diesen jämmerlichen Haufen Ramsch, den du so emsig zusammenträgst, weil du nicht weißt, wie du dir sonst beweisen sollst, daß dein Leben einen Sinn hat, daß du ein Mann bist?«
Sie konnte sich nicht erinnern, daß sie die Tür geöffnet hatte, hörte sie jetzt aber laut und vernehmlich hinter sich ins Schloß fallen. Die Nacht erschien ihr plötzlich sehr kalt, und sie merkte, daß sie heftig zitterte. Nun ist es also aus, dachte sie, zu Ende gegangen im Bösen, mit bitteren Vorwürfen, billigen, ordinären Beleidigungen und mit Demütigungen auf der ganzen Linie. Aber endet es nicht eigentlich jedesmal so? Sie schob die Hände tiefer in die Manteltaschen und ging, die Schultern hochgezogen und den Hals tief im wärmenden Kragen verborgen, mit raschen Schritten auf ihren Wagen zu.
FÜNFTES BUCH
ÜBERFÜHRT
58
Am Montag saß Daniel gegen Abend allein im Archiv und arbeitete. Er wußte selbst nicht recht, was ihn zu diesen vollgestopften, muffig riechenden Regalen zurückgeführt hatte, es sei denn der unbewußte Drang, eine selbstauferlegte Buße zu erfüllen. Anscheinend konnte er an überhaupt nichts anderes mehr denken als an seinen Schnitzer mit Esme Carlings Alibi. Aber Daisy Reed war ja nicht die einzige gewesen, die ihn getäuscht hatte; auch Esme Carling selbst hatte ihn an der Nase herumgeführt, und sie hätte er durchaus noch härter in die Mangel nehmen können.
Dalgliesh hatte den Fehler nicht mehr erwähnt, doch vergessen würde er einen solchen Mißgriff wohl kaum. Daniel wußte nicht, was schlimmer war, Dalgliesh’ Nachsicht oder Kates taktvolles Schweigen.
Er arbeitete sich stur weiter vor, indem er jeweils einen Stapel von etwa zehn Akten zur Durchsicht ins kleine Archiv hinüber trug. Hier hatte er es einigermaßen warm, denn man hatte ihm ein kleines elektrisches Heizgerät hereingestellt. Trotzdem fühlte er sich nicht wohl in dem Raum. Ohne das Heizgerät wurde es schlagartig so kalt und eisig, daß es ihm schon unnatürlich vorkam, und wenn er es anstellte, war die Luft in dem kleinen Zimmerchen bald so unangenehm trocken, daß er kaum noch atmen konnte. Daniel war nicht abergläubisch; er hatte also nicht das Gefühl, daß womöglich die ruhelosen Geister der Toten über seine einsame, methodische Suche wachten. Und der Raum war auch so kahl, so unpersönlich und alltäglich, daß er höchstens ein vages Unbehagen hervorrief, das aber paradoxerweise nicht auf schaurigen Schreckensvisionen beruhte, sondern gerade auf deren Ausbleiben.
Er hatte eben den nächsten Aktenstoß von einem oberen Bord heruntergenommen, als er dahinter ein kleines Päckchen gewahrte, das in braunes Papier eingeschlagen und mit einem alten Bindfaden umwickelt war. Daniel holte es herunter, nahm es mit hinüber zum Tisch, und nachdem er eine Weile mit den Knoten gekämpft hatte, kriegte er sie schließlich auf. Zum Vorschein kam eine alte, ledergebundene Ausgabe des Common Prayer Book, des Gebetbuches der anglikanischen Kirche. Es maß etwa fünfzehn mal zehn Zentimeter, und vorn auf dem Deckel waren die Initialen F. P. in Gold eingraviert. Das Buch war offenbar rege in Gebrauch gewesen, denn
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