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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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die Inschrift war kaum noch zu entziffern. Daniel schlug es auf, befühlte das feste, vergilbte Deckblatt und las das Impressum: »Mit ariergnädigsten Privilegien Seiner Erhabenen Majestät erschienen bei John Baskett, Nachfolger der Kgl. Hofdruckerei Thomas Newcomb und Henry Hills, verst. – London 1716.« Daniels Interesse war geweckt, und er blätterte weiter. Feine, rotgestrichelte Linien markierten beide Ränder und die Mitte jeder Seite. Er wußte wenig von der Bekenntnisgrundlage der anglikanischen Kirche, aber er überflog die steifen, vergilbten Blätter aufmerksam, las hier und da einen Absatz und stellte zum Beispiel fest, daß es ein besonderes Gebet im Psalmenkreis gab, »zu erneuern alljährlich am fünften November im Gedenken an die glückliche Errettung Seiner Majestät, James I. und unseres ruhmreichen Parlaments vor dem höchst ruchlosen und verräterischen Attentate mittels Schießpulver«. Daniel bezweifelte jedoch, daß dieses Dankgebet immer noch Teil der anglikanischen Liturgie war.
    Gerade, als er das Buch zuklappen wollte, fiel ein Blatt Papier aus dem hinteren Einband. Es war einmal gefaltet, noch nicht so vergilbt wie die Seiten des Gebetbuchs, aber ebenso dick. Der Text, der keine Überschrift trug, war mit schwarzer Tinte geschrieben, und auch wenn der Verfasser offenbar keine ruhige Hand mehr gehabt hatte, lasen sich die Worte doch noch so deutlich und klar wie am Tag ihrer Niederschrift:
    Ich, Francis Peverell, schreibe dies mit eigener Hand am 4. September 1850 zu Innocent House, im Angesicht des Todes. Die qualvolle Krankheit, die mich seit achtzehn Monaten in ihren Fängen hält, wird ihr Werk bald vollendet haben, und dann werde ich, durch die Gnade Gottes, endlich frei sein. ›Durch die Gnade Gottes‹, da steht es, geschrieben von meiner Hand, und ich werde diese Worte auch nicht wieder streichen. Ich habe weder die Kraft noch die Zeit, um noch einmal neu zu beginnen. Doch das Höchste, was ich von Gott erwarten kann, ist die Gnade der Vernichtung. Ich hoffe weder auf den Himmel, noch fürchte ich mich vor den Qualen der Hölle, denn ich habe meine Hölle seit fünfzehn Jahren hier auf Erden erduldet. Jedes Schmerzmittel zur Linderung meines Todeskampfes habe ich abgelehnt. Und das Laudanum des Vergessens, ich habe es nicht angerührt. Ihr Tod war barmherziger als der meine. Dieses mein Geständnis kann weder Seele noch Leib Erleichterung schaffen, denn weder habe ich um die Absolution gebeten, noch auch nur einem Menschen auf Erden meine Sünde gebeichtet oder gar Wiedergutmachung geleistet. Was könnte ein Mann auch tun, um den Mord an seiner Frau wiedergutzumachen?
    Ich schreibe dies nieder, weil die Würdigung ihres Andenkens es verlangt, daß die Wahrheit ans Licht kommt. Gleichwohl kann ich mich immer noch nicht dazu überwinden, ein öffentliches Geständnis abzulegen und ihren Namen von der Schmach der Selbsttötung reinzuwaschen. Ich habe sie getötet, weil ich ihr Geld brauchte, um die Arbeit an Innocent House zu beenden. Ihre Mitgift hatte ich bereits aufgebraucht, aber sie besaß noch festangelegtes Kapital, das mir zu ihren Lebzeiten verweigert war, bei ihrem Tode jedoch an mich fallen würde. Sie liebte mich, das Geld aber wollte sie mir nicht übereignen. In ihren Augen war meine Liebe zu dem Haus zwanghaft und sündig zugleich. Sie dachte, ich hinge mehr an Innocent House als an ihr oder unseren Kindern, und sie hatte recht damit.
    Die Tat hätte leichter nicht sein können. Sie war eine zurückhaltende Frau, die aufgrund ihrer Schüchternheit und Menschenscheu keine engen Freundschaften pflegte. Und von ihrer Familie war niemand mehr am Leben. Die Dienerschaft sah in ihr schon seit langem ein unglückliches Geschöpf, und um den Boden für meine Tat zu bereiten, vertraute ich einigen Kollegen und Freunden an, daß ich um ihre Gesundheit und um ihren Geisteszustand besorgt sei. Am Abend des 24. September, einem lauen Frühherbsttage, rief ich sie hinauf zum dritten Stock, unter dem Vorwand, daß ich ihr etwas zeigen wolle. Bis auf die Dienstboten waren wir allein im Haus. Sie kam ganz zutraulich hinaus zu mir auf den Balkon. Sie war eine zierliche Person, und es war das Werk von Sekunden, sie gewaltsam emporzuheben und in den sicheren Tod zu stürzen. Als das getan war, ging ich ohne jede Hast hinunter in die Bibliothek, und dort saß ich still für mich über ein Buch gebeugt, als man mir die furchtbare Kunde überbrachte. Nie fiel auch nur der leiseste

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