Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
Verdacht auf mich. Und wie konnte es auch anders sein? Einem ehrbaren Manne traut man es nicht zu, daß er die eigene Frau ermordet.
Ich habe für Innocent House gelebt, und ich habe dafür gemordet, aber seit ihrem Tode hat das Haus mir keine frohe Minute mehr geschenkt. Ich hinterlasse dieses Geständnis meinen Nachfahren und bestimme hiermit, daß es von Generation zu Generation an den ältesten männlichen Sproß weiterzugeben ist. Und alle, die es lesen, bitte ich inständig, mein Geheimnis zu wahren. Es geht zunächst an meinen Sohn, Francis Henry, und, wenn die Zeit gekommen ist, weiter an dessen Sohn und so immerfort an alle meine Nachkommen. Mir bleibt keine Hoffnung mehr, weder in dieser noch in der nächsten Welt, und so kann ich denen, die mir folgen, auch keine Botschaft mit auf den Weg geben. Ich habe dies niedergeschrieben, weil es mich drängt, die Wahrheit zu offenbaren, bevor ich sterbe.
Darunter hatte er mit seinem Namen gezeichnet und noch einmal das Datum vermerkt.
Nachdem er das Geständnis gelesen hatte, saß Daniel volle zwei Minuten still und in Gedanken versunken am Tisch. Er fragte sich, woran es wohl liegen mochte, daß diese Worte, die aus einer Distanz von anderthalb Jahrhunderten zu ihm sprachen, ihn derart betroffen machten. Und sein Gefühl sagte ihm, er habe kein Recht, diese Zeilen zu lesen; das einzig Richtige sei es, das Blatt zurückzulegen, das Gebetbuch wieder einzuschlagen, wie er es vorgefunden hatte, und ins Regal zu stellen. Aber ich sollte doch wenigstens AD verständigen, dachte er. Ob das Geständnis der Grund dafür war, daß Henry Peverell sich so gegen die Aufarbeitung des Archivs gesträubt hatte? Er mußte schließlich von diesem Dokument gewußt haben. Ob man es ihm zu lesen gegeben hatte, als er volljährig wurde? Oder war es da schon längst verlegt und Teil der Familiensaga geworden, eine Geschichte, über die man hinter vorgehaltener Hand tuschelte, freilich ohne mehr zu wissen, ob sie der Wahrheit entsprach? Hatte auch Frances Peverell diese Beichte gelesen, als sie volljährig wurde, oder hatte man die Klausel vom »ältesten Sohn« stets wörtlich genommen? Aber für den Mord an Gerard Etienne war das Schriftstück bestimmt nicht relevant. Dies war eine Tragödie der Peverells, eine Familienschmach, so alt wie das Papier, auf dem ihr Urheber sie gebeichtet hatte. Daniel konnte es der Familie nachfühlen, daß sie den Fall geheimhalten wollte. Es wäre mehr als unangenehm, jedesmal, wenn das Haus bewundert wurde, zugeben zu müssen, daß es um den Preis eines Mordes erbaut worden war. Nach kurzem Besinnen steckte er das Blatt zurück, wickelte das Gebetbuch sorgsam wieder ein und legte es auf die Seite.
Plötzlich näherten sich vom Vorraum her Schritte, leicht und dennoch fest. Und beim Gedanken an jene ermordete Frau eines früheren Peverell wurde Daniel doch noch von einem leichten Schauder abergläubischer Furcht gepackt. Aber schon im nächsten Moment siegte wieder die Vernunft. Dies waren die Schritte einer Lebenden, und jetzt wußte er auch, wer da kam.
Claudia Etienne stand in der Tür. Ohne jede Einleitung fragte sie: »Brauchen Sie noch lange?«
»Nicht sehr lange, nein. Etwa eine Stunde, vielleicht auch weniger.«
»Schön, ich gehe um halb sieben. Ich lösche dann, bis aufs Treppenhaus, überall das Licht. Sind Sie so gut und kümmern sich darum, wenn Sie hier fertig sind? Ach, und schalten Sie auch die Alarmanlage ein, ja?«
»Wird gemacht.«
Er schlug die nächstliegende Akte auf und tat so, als begänne er zu lesen. Er wollte nicht mir ihr reden. Es wäre unklug, sich jetzt, ohne Anwesenheit eines Dritten, in ein Gespräch hineinziehen zu lassen.
Sie sagte: »Es tut mir leid, daß ich gelogen habe, als es um mein Alibi für den Abend ging, an dem Gerard starb. Ich tat es zum Teil aus Angst, aber in der Hauptsache, weil ich Schwierigkeiten aus dem Weg gehen wollte. Doch ich habe meinen Bruder nicht getötet. Von uns ist es überhaupt keiner gewesen.« Er antwortete nicht, sah sie nicht einmal an. Als sie weitersprach, kroch Verzweiflung in ihre Stimme: »Wie lange soll das denn noch so weitergehen? Können Sie mir das nicht sagen? Haben Sie denn gar keinen Anhaltspunkt? Die Gerichtsmedizin hat noch nicht mal den Leichnam meines Bruders zur Beerdigung freigegeben. Ja, verstehen Sie denn nicht, wie mich das mitnimmt?«
Und da schaute er doch zu ihr hoch. Wäre er imstande gewesen, Mitleid mit ihr zu haben, dann hätte er es jetzt, beim
Weitere Kostenlose Bücher