Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
Judendeportation aus Frankreich zwischen 1940 und 1944. Allein in diesen vier Jahren wurden fast 76.000 Juden verschleppt, von denen die meisten in den Konzentrationslagern Deutschlands und Polens den Tod fanden. Im Mittelpunkt des Buches wird die Geschichte einer Familie stehen, die durch den Krieg auseinandergerissen wurde. Die junge Ehefrau, eine Jüdin, und ihre vier Jahre alten Zwillinge werden in Frankreich von der Invasion überrascht, von Freunden versteckt und mit gefälschten Papieren ausgestattet, später aber dennoch verraten, nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet. Der Roman macht es sich zur Aufgabe, die Auswirkungen dieses Verrats – am Beispiel einer kleinen Familie unter Tausenden von Opfern – auf den Ehemann der Frau zu untersuchen sowie die Folgen für Verratene und Verräter auszuloten.
Daniel blätterte weiter, konnte aber keine Stellungnahme zu dieser Offerte entdecken, ja es fand sich überhaupt keine Antwort seitens Peverell Press. Die Akte enthielt offenbar nur Arbeitsgrundlagen, Exzerpte und Forschungsergebnisse. Der Roman war sorgfältig recherchiert worden, gründlicher, als das bei einem belletristischen Werk normalerweise der Fall war. Der Autor hatte im Lauf der Jahre eine erstaunliche Anzahl nationaler und internationaler Organisationen angeschrieben und in manchen Fällen sogar persönlich aufgesucht. So die Archives Nationales in Paris und Toulouse, das Centre de Documentation Juive Contemporaine in Paris, die Harvard University, das britische Nationalarchiv sowie das Royal Institute of International Affairs in London und das Bundesarchiv in Koblenz. Daniel fand außerdem Auszüge aus verschiedenen Publikationen der Résistance, wie L’Humanité, Témoignage Chrétien und Le Franc-Tireur, und Gerichtsprotokolle von Präfekten aus der unbesetzten Zone. Er überflog alles Blatt für Blatt, Briefe, Nachrichtentexte, Exzerpte amtlicher Dokumente, Protokollabschriften und Augenzeugenberichte. Die Aufzeichnungen waren teils allgemein informativ gehalten, teils auffallend präzise. Er fand Angaben über die Zahl der Deportierten, Zugfahrpläne, Notizen zur Politik Pierre Lavais und seiner Rolle im Intrigenspiel der Kollaborateure, ja sogar Kommentare zum Machtwechsel unter den deutschen Besatzern Frankreichs im Frühjahr und Sommer 1942. Und es zeigte sich rasch, daß der emsige Forscher peinlich darauf bedacht gewesen war, daß sein Name nirgendwo auftauchte. Bei seinen eigenen Briefen waren Unterschrift und Adresse entweder herausgeschnitten oder geschwärzt worden, und Briefe, die an ihn gerichtet waren, wiesen zwar Namen und Anschrift des Absenders auf, aber alles, was den Adressaten hätte verraten können, war wiederum sorgsam getilgt oder unkenntlich gemacht. Auch fehlte jeder Hinweis darauf, ob die Recherchen bereits benutzt und ausgewertet, ob also das angekündigte Buch schon begonnen, geschweige denn beendet worden war.
Bald stellte sich immer klarer heraus, daß der Autor sich ganz gezielt für eine Region und für ein bestimmtes Jahr interessiert hatte. Der Entwurf des Romans, so es denn einer war, konzentrierte sich mehr und mehr auf diesen Ort und diese Zeit. Es schien, als wäre ein Bündel Suchscheinwerfer über ein weites Terrain geschwenkt, hätte hier einen besonderen Vorfall markiert, dort einen interessanten Aspekt hervorgehoben, mal eine einzelne Gestalt oder einen fahrenden Zug eingefangen, dann aber all seine Strahlen gesammelt, um nur noch dieses eine Jahr zu beleuchten: 1942. Es war das Jahr, in dem die Deutschen die Deportationsquote aus der unbesetzten Zone beträchtlich heraufgeschraubt hatten. Die Juden wurden, nachdem man sie aufgespürt und zusammengetrieben hatte, entweder ins Vél d’hiv’, das Pariser Radstadion, oder nach Drancy gebracht, einem weitläufigen Wohnviertel in einem Vorort nordöstlich von Paris. Dieses Lager diente als Zwischenstation auf dem Wege nach Auschwitz. Die Akte enthielt drei Augenzeugenberichte. Einer stammte von einer französischen Krankenschwester, die vierzehn Monate lang mit einem Kinderarzt in Drancy gearbeitet hatte, bis sie das Elend im Lager nicht mehr ertrug, die beiden anderen hatten Überlebende verfaßt, offenbar als Antwort auf eine persönliche Anfrage seitens des Autors. Eine Frau schrieb:
Am 16. August 1942 wurde ich von den Gardes Mobiles abgeholt. Zunächst war ich nicht sonderlich beunruhigt, denn sie waren ja Franzosen und verhielten sich bei meiner Festnahme auch sehr korrekt. Ich wußte
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