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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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still und reglos da, daß man ihn leicht hätte mit einer Statue verwechseln können. Dann stand er auf, ging hinüber ins Hauptarchiv, wo er rastlos zwischen den Regalen auf und ab lief oder, wenn er einmal innehielt, mit der flachen Hand gegen die Metallstreben schlug. Er war wie besessen von einem stürmischen, einem leidenschaftlichen Gefühl, das er schon als Zorn erkannte, nur hatte er noch nie zuvor einen derartigen Zorn verspürt. Und er hörte sonderbare, schier unmenschliche Laute, die dennoch aus seiner eigenen Kehle kamen; er stöhnte vor Entsetzen über diese seine furchtbare Entdeckung. Die Beweise vernichten konnte und durfte er nicht, und er spielte auch nicht einmal eine Sekunde lang mit dem Gedanken. Aber er konnte Dauntsey warnen, ihn wissen lassen, daß sie ihm bereits dicht auf den Fersen waren und endlich das fehlende Motiv gefunden hatten. Einen Moment lang wunderte er sich, wieso Dauntsey die Papiere nicht längst zurückgeholt und in den Reißwolf gesteckt hatte. Er brauchte sie doch jetzt nicht mehr. Kein Gericht würde sie je zu sehen bekommen. Sie waren ja ohnehin nicht über ein halbes Jahrhundert lang mit dieser akribischen Geduld und Gründlichkeit zusammengetragen worden, um am Ende einem Gerichtshof vorgelegt zu werden. Nein, Dauntsey war selbst Richter und Geschworenentribunal gewesen, Staatsanwalt und Kläger in einer Person. Vielleicht hätte er die Akte auch vernichtet, wenn das Archiv nicht immer abgeschlossen gewesen wäre, weil Dalgliesh von Anfang an ahnte, daß das Motiv für dieses Verbrechen in der Vergangenheit lag und daß die fehlenden Beweise womöglich schriftliche Zeugnisse waren.
    Plötzlich klingelte das Telefon, schrill und hartnäckig wie eine Alarmglocke. Daniel unterbrach sein hektisches Auf und Ab und blieb wie angewurzelt stehen, fast als fürchte er sich, den Hörer abzunehmen und dadurch vielleicht den eben erst erlangten, erhellenden Einblick in das belanglose Treiben der Welt, mit einem Schlage wieder zu verlieren. Aber das Telefon schrillte beharrlich weiter. Endlich ging er doch an den Wandapparat im Vorraum und hörte, kaum daß er sich gemeldet hatte, Kates aufgeregte Stimme.
    »Na, das hat aber lange gedauert!«
    »Entschuldige, ich stand gerade auf der Leiter und hab’ Akten sortiert.«
    »Daniel, sag mal, fehlt dir was?«
    »Nein, nein, alles in Ordnung.«
    »Du, wir haben Nachricht vom Labor. Die Fasern passen tatsächlich zusammen. Die Carling ist also auf dem Boot getötet worden, wie wir’s vermutet hatten. Aber an den Kleidungsstücken der Verdächtigen lassen sich nirgends entsprechende Faserspuren finden. Wär’ ja auch zu schön gewesen! Damit sind wir also ein Stückchen weitergekommen, aber viel bringt’s leider doch nicht. AD spielt mit dem Gedanken, Dauntsey morgen zu verhören – mit Tonbandprotokoll, Rechtsbelehrung und allem Drum und Dran. Das wird zwar auch nicht viel nützen, aber versuchen müssen wir’s wohl. Doch ich wette, der bricht nicht zusammen. Genausowenig wie die anderen.«
    Zum erstenmal hörte er in ihrer Stimme jenen leise fragenden Ton, der ihm verriet, daß sie nahe daran war aufzugeben. »Und du?« erkundigte sie sich. »Hast du was Interessantes ausgegraben?«
    »Nein«, sagte er. »Nichts, was uns weiterhelfen würde. Aber ich hab’ jetzt auch genug. Ich mach’ Schluß und fahr’ nach Hause.«

62
    Daniel steckte das Foto in den Umschlag zurück und schob ihn in seine Tasche, dann stellte er alle Akten wieder ins Regal und quetschte den braunen Ordner unauffällig dazwischen. Er löschte das Licht, sperrte die Tür auf und schloß hinter sich gleich wieder ab. Claudia Etienne hatte im Treppenhaus alle Lampen brennen lassen, und nun machte er im Hinuntergehen eine nach der anderen aus. Unten angekommen schaltete er die Deckenbeleuchtung ein, um sich bis zum Ausgang zurechtfinden zu können. Jeden Handgriff führte er bewußt aus, mit einem fast feierlichen Ernst, gerade so, als hätte jeder seinen einzigartigen Wert. Nach einem letzten Blick auf die prächtige, kuppelförmige Decke ließ er die Halle wieder in Dunkelheit versinken, schaltete die Alarmanlage ein, löschte zum Schluß auch noch das Licht am Empfang, verließ das Verlagsgebäude und schloß sorgfältig hinter sich ab. Er fragte sich, ob er Innocent House wohl jemals wieder betreten würde und lächelte selbstironisch bei dem Gedanken, daß er, obwohl entschlossen zur unverzeihlichen Perfidie, gewissermaßen zum großen Bildersturm, es

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