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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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von der Handelsschule, zum Vorstellungsgespräch nach Innocent House gekommen war und er sich lächelnd hinter seinem Schreibtisch erhoben hatte, um sie zu begrüßen. In Steno und Maschine war sie schon von seiner Sekretärin geprüft worden, die Peverell Press verließ, weil sie heiraten wollte. Aber als Blackie nun in sein schönes Gelehrtenantlitz und in diese unwahrscheinlich blauen Augen blickte, da wußte sie, daß jetzt erst die entscheidende Prüfung kam. Über die Arbeit sprach er nicht viel – warum auch? Schließlich hatte Miss Arkwright schon erschreckend detailliert aufgezählt, was man alles von ihr erwarten würde. Statt dessen erkundigte er sich, wie sie hergefunden habe, und sagte dann: »Wir haben eine Fähre, die einen Teil der Belegschaft zur Arbeit bringt. Sie könnten am Charing Cross Pier einsteigen und über die Themse ins Büro fahren – vorausgesetzt, Sie sind nicht wasserscheu.«
    Und sie hatte gespürt, daß dies die eigentliche Testfrage war…
    Bei dem Gedanken, jeden Tag in diesen glanzvollen Palast zu kommen, hatte es ihr fast die Rede verschlagen, und die wenigen Sätze, die sie noch herausbrachte, waren wohl ziemlich wirr und zusammenhanglos gewesen. Er hatte das Gespräch schließlich mit den Worten beendet: »Na, wenn Sie meinen, daß Sie hier glücklich werden können, dann schlage ich vor, wir geben uns gegenseitig einen Monat Probezeit.«
    Als der Monat um war, hatte er nichts gesagt, aber das war auch nicht nötig gewesen. Sie war bis zu seinem Todestag bei ihm geblieben.
    Oh, wie schmerzhaft war immer noch die Erinnerung an den Morgen, an dem er den Herzanfall bekam. War das wirklich erst acht Monate her? Die Tür zwischen ihren Büros hatte wie gewöhnlich einen Spalt offengestanden, so wie er es gern hatte. Die Samtschlange mit der kunstvollen Rückenzeichnung und der gespaltenen Zunge aus rotem Flanell klemmte zusammengerollt zwischen Rahmen und Füllung. Mr. Peverell hatte einmal gerufen, aber mit einer ganz rauhen, erstickten Stimme, die kaum als menschlich zu erkennen war, so daß Blackie sie zuerst für die eines Fährmanns hielt, dessen Ruf vom Fluß herüberhallte. Erst nach ein paar Sekunden hatte sie begriffen, daß diese geisterhafte, fremde Stimme ihren Namen rief. Sie war aufgesprungen und stand nur einen Moment später neben seinem Schreibtisch und sah fassungslos auf ihn herab. Er saß noch im Sessel, aber so steif, als hätte ihn ein Starrkrampf befallen oder als habe er Angst, sich zu bewegen. Seine Hände hielten die Stuhllehnen so fest umklammert, daß die Knöchel weiß hervorsprangen, die Augen waren aus den Höhlen getreten, und auf seiner Stirn glitzerten Schweißperlen dick wie Eiter. »Der Schmerz, der Schmerz«, keuchte er. »Ein Arzt, rasch!«
    Ohne das Telefon auf seinem Schreibtisch zu beachten, war sie zurück in ihr Büro gerannt, gerade so, als könne sie sich nur in diesem ihr vertrauten Bereich zurechtfinden. Fieberhaft suchte sie im Telefonbuch, bis ihr einfiel, daß Name und Anschluß seines Arztes ja in dem kleinen schwarzen Verzeichnis in ihrem Schreibtisch standen. Sie riß die Schublade auf und fuhr tastend mit der Hand hinein, während sie sich auf den Namen des Doktors zu besinnen suchte. Ihr Herz drängte zu dem Grauen nebenan, zugleich aber fürchtete sie sich vor dem Anblick dort drüben, und dabei wußte sie eigentlich nur, daß sie Hilfe holen mußte, und zwar rasch. Dann fiel es ihr ein. Natürlich, ein Krankenwagen. Sie mußte einen Krankenwagen rufen. Sie drückte am Telefon ein paar Tasten, hörte eine ruhige, entschiedene Stimme und machte ihre Angaben. Das Flehen und die Angst in ihrer Stimme schienen die Person am anderen Ende überzeugt zu haben. Ja, der Krankenwagen sei schon unterwegs.
    An das, was weiter geschah, erinnerte sie sich nicht der Reihe nach, sondern nur in Form von unzusammenhängenden, gleichwohl lebhaften Szenen. An der Tür zu seinem Büro hatte sie gerade noch einen Blick auf Frances Peverell erhascht, die hilflos neben ihrem Vater stand, ehe Gerard Etienne dazukam und mit den Worten: »Wir können hier drinnen niemand mehr brauchen; er muß frische Luft haben« energisch die Tür schloß.
    Das war die erste in einer langen Kette von Zurückweisungen gewesen. Sie erinnerte sich an die Geräusche, während die Sanitäter sich um ihn bemühten; seinen von ihr abgewandten Kopf, als sie ihn, eingehüllt in eine rote Decke, vorbeitrugen; an ein Schluchzen, das sehr wohl ihr eigenes gewesen sein mochte; an

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