Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
für sie getan. Ihnen verdankte sie eine kurze Zeit der Geborgenheit und das Gefühl, daß man sie wertschätzte, ja daß es möglich sein könne, sie zu lieben. Die Schwestern hatten sie auf Oxford vorbereitet, was wohl als Sonderdienst honoriert werden mußte, denn Mutter Bridget hatte ihr oft genug eingeschärft, daß eine wahrhaft katholische Erziehung darauf ausgerichtet sei, sie auf den Tod vorzubereiten. Die Nonnen hatten auch das getan, aber Frances war sich nicht so sicher, ob man sie auf das Leben vorbereitet hatte. Auf einen Gerard Etienne jedenfalls hatte sie ganz gewiß niemand vorbereitet.
Sie trat zurück ins Wohnzimmer und machte die Balkontür fest hinter sich zu. Vom Fluß hörte man jetzt nur noch ganz leises Gemurmel, wie ein zartes Säuseln in der Nachtluft. »Er hat nur soviel Macht über dich, wie du sie ihm gibst.« So ungefähr hatte Gabriel es formuliert. Irgendwie mußte sie den Willen und die Kraft aufbringen, diese Macht ein für allemal zu brechen.
10
Mandys erster Monat in Innocent House, der unheilträchtig mit einem Selbstmord begann und dramatisch mit Mord enden sollte, erschien ihr in der Rückschau trotz allem als einer der glücklichsten in ihrer Laufbahn. In den Büroalltag gewöhnte sie sich wie immer rasch ein, und mit ihren Arbeitskollegen verstand sie sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auch sehr gut. Sie hatte reichlich zu tun, was ihr nur recht war, und die Arbeit war abwechslungsreich und interessanter als das, was ihr sonst geboten wurde.
Am Ende der ersten Woche hatte Mrs. Crealey gefragt, ob es ihr bei Peverell gefalle, und Mandy hatte geantwortet, es gebe schon auch schlechtere Jobs, mithin könne sie es ruhig noch ein Weilchen aushalten – das Äußerste, was sie je an Zufriedenheit mit einer Stelle bekundete. In Innocent House war sie sehr schnell akzeptiert worden; kein Wunder, denn gegen Jugend und Vitalität, verbunden mit großer Tüchtigkeit, kann sich selten jemand auf lange Sicht verschließen. Sogar Miss Blackett war, nachdem sie Mandy eine Woche lang gnadenlos und streng im Auge behalten hatte, anscheinend zu dem Schluß gelangt, daß ihr schon schlimmere Aushilfen untergekommen seien. Mandy, die immer schnell heraushatte, wo ihr Vorteil lag, schmeichelte Miss Blackett, indem sie sie mit einer Mischung aus Respekt und Vertrauen behandelte; sie holte ihr Kaffee aus der Küche, bat sie häufig um Rat, freilich ohne die geringste Absicht, ihn zu befolgen, und nahm ihr bereitwillig einige eher langweilige Routinearbeiten ab. Persönlich hielt sie die arme alte Schachtel für einen hoffnungslosen Fall; sie mußte einem einfach leid tun. Es war offensichtlich, daß zum Beispiel Mr. Gerard sie nicht ausstehen konnte. Und das war ja auch kein Wunder; nach Mandys persönlicher Ansicht gehörte Miss Blackett zum alten Eisen. Zum Glück hatten beide zuviel zu tun, um lange darüber nachzudenken, wie wenig sie doch gemeinsam hatten und wieviel jede an Kleidung und Frisur der anderen und an ihrem Ton im Umgang mit den Vorgesetzten auszusetzen hatte. Mandy mußte auch nicht jeden Tag in Miss Blacketts Büro sitzen. Oft wurde sie zu Miss Claudia oder Mr. de Witt gerufen, um ein Stenogramm aufzunehmen, und an einem Dienstag, als George wegen übler Magenbeschwerden nicht zum Dienst kommen konnte, übernahm sie den Empfang und meisterte selbst die komplizierte Telefonzentrale mit nur ganz wenigen fehlgeleiteten Gesprächen.
Den Mittwoch und Donnerstag ihrer zweiten Woche verbrachte sie in der Werbung, wo sie ein paar Lesereisen und eine Signierstunde organisieren half und von Maggie Fitz-Gerald, der Werbeassistentin, über die Eigenheiten der Autoren aufgeklärt wurde, jener unberechenbaren und überempfindlichen Spezies, auf die, wie Maggie widerstrebend einräumte, der Verlag letzten Endes angewiesen war. Da gab es welche, die gern den starken Mann markierten und die man am besten Miss Claudia überließ, weil die ihnen gewachsen war; dann die schüchternen, unsicheren Kandidaten, die laufend Bestätigung brauchten, damit sie in einer BBC-Talk-Show auch nur ein Wort herausbrachten und die schon der Gedanke an einen Lunch im Literaturclub derart in Panik versetzte, daß Sprachvermögen und Verdauung streikten. Nicht weniger Ärger hatte man mit den Dynamischen, die, wenn man ihr übertriebenes Selbstbewußtsein nicht dämpfte, ihren Aufpassern glatt durchgingen, auf eigene Faust in den nächsten Laden rannten und dort anboten, ihre Bücher zu signieren, womit
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