Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
Vom Netzwerk:
die ihm, so irrational sie waren, gleichwohl jede Freude vergällten. Trotzdem hatte er nicht die Absicht, seine Zeit mit Auseinandersetzungen oder langwierigen Erklärungen zu verschwenden. Kate Miskin war vielleicht schon am Tatort. Der Dienst ging vor, und seine Eltern würden das akzeptieren müssen.
    Sein Vater meldete sich. »Daniel! Ja, bist du denn noch nicht unterwegs? Du hast doch gesagt, du willst ganz früh hiersein, damit wir noch ein bißchen Zeit für uns haben, bevor die anderen kommen. Wo steckst du denn jetzt?«
    »Ich bin auf der Eastern Avenue. Tut mir leid, Vater, aber ich kann nicht kommen. Gerade hat mich das Dezernat angerufen. Ein dringender Fall. Mord. Ich muß umgehend an den Tatort fahren.«
    Und dann die Stimme seiner Mutter, als sie den Hörer übernahm. »Was sagst du da, Daniel? Hast du gesagt, du kommst nicht? Aber du mußt kommen! Du hast’s versprochen. Deine Tante und dein Onkel werden gleich hiersein. Es ist unser vierzigster Hochzeitstag. Was wär’ das für ein Fest, wenn ich meine Söhne nicht alle beide um mich hab’? Und du hast’s fest versprochen.«
    »Ja, ich weiß, und ich wär’ ja jetzt auch nicht auf der Eastern Avenue, wenn ich nicht hätte kommen wollen. Ich hab’ den Anruf eben erst gekriegt.«
    »Aber du bist beurlaubt! Was nützt dir ein freier Tag, wenn die dich so mir nichts, dir nichts zurückbeordern? Kann das denn nicht wer anders erledigen? Warum mußt immer du herhalten?«
    »Es trifft ja nicht immer mich. Bloß heute. Ein dringender Fall. Es handelt sich um Mord.«
    »Mord! Und du läßt dich lieber auf einen Mord ein als mit deinen Eltern zu feiern? Mord. Tod! Kannst du nicht zwischendurch auch mal an die Lebenden denken?«
    »Tut mir leid, aber ich muß jetzt Schluß machen.« Er setzte ingrimmig hinzu: »Ich wünsche euch einen guten Appetit« und legte auf.
    Es war schlimmer gewesen, als er sich vorgestellt hatte. Er blieb noch ein paar Sekunden sitzen, um wieder zur Ruhe zu kommen und gegen die Gereiztheit anzukämpfen, die in ihm aufstieg und in Zorn umzuschlagen drohte. Dann trat er die Kupplung durch, suchte sich eine Einfahrt, in der er bequem wenden konnte, und fädelte sich wieder in den Verkehr ein. Er steckte jetzt mitten in der morgendlichen Rush-hour, auch wenn der Begriff nicht recht zu dieser stockenden Fortbewegungsart passen wollte. Und er hatte Pech mit den Ampelschaltungen. Immer wieder mußte er anhalten, weil eine Ampel nach der anderen vor ihm auf Rot sprang. Noch hatte er gar keine Vorstellung von dem Schauplatz des gewaltsamen Todes, zu dem er in solch enervierendem Schneckentempo unterwegs war, doch einmal dort angekommen, würden die Ermittlungen all sein Denken und seine ganze Kraft in Anspruch nehmen. Vorerst jedoch entfernte er sich zwar physisch Meile für schmerzvolle Meile von seinem Elternhaus in Ilford, aber aus seinen Gedanken konnte er es noch nicht verbannen.
    Die Familie war aus dem Reihenhaus in Whitechapel, wo er geboren wurde, ausgezogen, als er zehn und David dreizehn Jahre alt war. Aber für ihn bedeutete Zuhause noch immer die Balaclava Terrace 27. Es war eine der wenigen Straßen, die im Zweiten Weltkrieg nicht den feindlichen Bombern zum Opfer gefallen waren und die auch nachher hartnäckig ihren Platz behaupteten, indes die umliegenden Häuser eins nach dem anderen inmitten beißender Staubwolken niedergerissen und von riesigen Hochhaustürmen verdrängt wurden, die aussahen wie der Grundstock zu einer Stadt der Außerirdischen. Auch ihre Straße hätte längst dran glauben müssen, wäre da nicht jene exzentrische, sture alte Frau in der Nachbarschaft gewesen, deren Bemühungen, wenigstens ein kleines Eckchen vom alten East End zu erhalten, mit einem Engpaß im Stadtsäckel zusammenfielen, der ambitionierte Baupläne vorerst auf Eis legte. Und darum stand die Balaclava Terrace also noch, wenn auch inzwischen sicher luxussaniert und von Jungmanagern, Assistenzärzten vom London Hospital und Medizinerwohngemeinschaften als Zuflucht vor der kalten, unpersönlichen Moderne okkupiert. Von der Familie war nie jemand dorthin zurückgekehrt. Für seine Eltern hatte sich mit dem Umzug ein Traum erfüllt, einer, der fast Angst machte, als er Wahrheit zu werden versprach, und der Gegenstand endloser, von den Kindern nur halb verstandener Unterhaltungen war, die bis tief in die Nacht dauerten. Seinen Vater hatte man damals gerade nach bestandenem Buchprüfungsexamen befördert, und mit diesem Umzug wollten sie

Weitere Kostenlose Bücher