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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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die Vergangenheit abschütteln, einen Schritt nach Nordosten tun, der gleichzeitig ein Schritt nach oben war und der die Entfernung zu jenem polnischen Dorf mit dem unaussprechlichen Namen, aus dem Daniels Urgroßvater stammte, wieder um ein paar Meilen vergrößerte. Man würde sich einschränken müssen, eine Hypothek aufnehmen, ängstlich jeden Penny umdrehen und alle Ausgaben sorgfältig gegeneinander abwägen.
    Aber es war alles gut gegangen. Kein halbes Jahr nach dem Umzug hatte ein überraschender Todesfall in der Firma zu einer weiteren Beförderung und damit zu finanzieller Sicherheit geführt. Das Haus in Ilford besaß eine moderne Einbauküche und eine dreiteilige Sitzgarnitur fürs Wohnzimmer. Die Frauen, die in der neuen Gemeinde die Synagoge besuchten, waren schick gekleidet, doch mittlerweile gehörte seine Mutter zu den schicksten. Daniel hatte den Verdacht, daß er als einziger aus der Familie der Balaclava Terrace nachtrauerte. Er schämte sich des Hauses in Ilford und schämte sich fast noch mehr, weil er etwas, das so schwer erkämpft war, verachtete. Wenn ich Kate Miskin je mit nach Hause bringen sollte, dachte er bei sich, dann würde ich sie lieber in die Balaclava Terrace führen statt nach The Drive, Ilford. Aber was zum Kuckuck hatte Kate Miskin damit zu tun, wo oder wie er lebte? Sie nach Hause einzuladen stand doch überhaupt nicht zur Debatte. Er arbeitete erst seit drei Monaten mit ihr im Sonderdezernat. Was also hatte Inspector Kate Miskin mit seinem Familienleben zu tun?
    Er glaubte den Grund für seine Unzufriedenheit zu kennen: Neid. Fast seit frühester Kindheit hatte er gewußt, daß seine Mutter den älteren Bruder vorzog. Sie war fünfunddreißig gewesen, als David zur Welt kam, ein Alter, in dem sie die Hoffnung auf ein Kind schon fast aufgegeben hatte. Die überbordende Liebe, die sie verständlicherweise für ihren Erstgeborenen empfand, war von so unglaublicher Intensität gewesen, daß sich mit ihr fast alles, was sie an mütterlicher Zuwendung zu geben hatte, verausgabte. Als dann drei Jahre später Daniel kam, freute man sich zwar, aber ein heißersehntes Wunschkind war er nie gewesen. Er erinnerte sich, wie er als Vierzehnjähriger dabeigewesen war, als eine Frau in den Kinderwagen einer Nachbarin schaute und beim Anblick des Neugeborenen sagte: »Und der ist also Nummer fünf? Na ja, aber es bringt trotzdem jedes seine eigene Liebe mit, nicht wahr?« Von sich hatte er dieses Gefühl nie gehabt.
    Und dann hatte David mit elf Jahren diesen Unfall gehabt, und die Wirkung auf ihre Mutter hatte Daniel bis heute nicht vergessen. Ihr wilder Blick, als sie sich an seinen Vater klammerte, ihr Gesicht, bleich vor Schmerz und Entsetzen, das plötzlich das Gesicht einer rasenden Fremden war, ihr unerträgliches Schluchzen, die quälend langen Stunden, die sie an Davids Bett im London Hospital verbrachte, während Daniel in der Obhut von Nachbarn zurückblieb. Am Ende mußten sie David das linke Bein unterhalb des Knies amputieren. Mit überschäumender Zärtlichkeit und so triumphierend, als sei er von den Toten auferstanden, hatte die Mutter ihren ältesten Sohn heimgebracht, und in diesem Moment wußte Daniel, daß er jetzt erst recht keine Chance mehr hatte, mitzuhalten. David war mutig gewesen, duldsam, ein pflegeleichtes Kind. Daniel dagegen war launisch, eifersüchtig, schwierig. Und intelligent. Er vermutete, daß er klüger war als David, hatte ihre intellektuelle Rivalität aber dennoch bald aufgegeben. David war derjenige gewesen, der auf die London University ging, Jura studierte, seine Anwaltszulassung bekam und jetzt in eine Kanzlei eingetreten war, die sich auf Strafrecht spezialisiert hatte. Daß Daniel sich dagegen mit achtzehn und frisch von der Schule bei der Polizei beworben hatte, war eine reine Trotzhandlung gewesen.
    Daniel redete sich ein – und halb glaubte er es sogar –, daß seine Eltern sich seines Berufes schämten. Auf jeden Fall prahlten sie nie mit seinen Erfolgen, wie sie es bei David taten. Er entsann sich zum Beispiel einer Bemerkung, die seine Mutter an ihrem letzten Geburtstag gemacht hatte. Gleich bei der Begrüßung an der Tür hatte sie gesagt: »Ich habe Mrs. Forsdyke nicht erzählt, daß du Polizist bist. Aber falls sie sich erkundigen sollte, was du machst, dann sag’ ich’s ihr natürlich.«
    Und sein Vater hatte leise ergänzt: »Vergiß auch nicht zu erwähnen, daß er in Commander Dalgliesh’ Sonderdezernat arbeitet, Mutter, einer

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