Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
geben. Ach, wollen Sie übrigens, daß die Schlange im Mund bleibt?«
»Ich denke schon. Am liebsten wär’s mir, wenn sie bis zur Autopsie nicht angerührt wird.«
»Und die Autopsie wollen Sie doch sicher, wenn’s geht, schon vorgestern, oder?«
»Erraten, Doc, wie immer.«
»Ich kann ihn heute abend drannehmen. Eigentlich waren wir zu einer Dinnerparty eingeladen, aber die Gastgeberin mußte im letzten Moment absagen. Angeblich hat sie die Grippe. Also halb sieben, wenn Sie’s einrichten können, dieselbe Leichenhalle wie immer. Ich ruf da noch kurz durch und melde uns an. Der Leichenwagen schon unterwegs?«
»Müßte jeden Augenblick hiersein«, sagte Kate.
Dalgliesh war sich klar darüber, daß die Autopsie auf jeden Fall zum angegebenen Zeitpunkt stattfinden würde, egal, ob er sich dafür freimachen konnte oder nicht. Aber er würde natürlich dabeisein. Wardle war plötzlich so unerwartet kooperativ – doch dann fiel ihm ein, daß der Doc das im Grunde immer war, wenn’s wirklich drauf ankam.
23
Sobald er Mrs. Demery sah, wußte Dalgliesh, daß er mit ihr keine Schwierigkeiten haben würde; er kannte den Typ. Die Mrs. Demerys dieser Welt hatten nach seiner Erfahrung keine Hemmungen vor der Polizei, die sie in der Regel für Helfer des kleinen Mannes, also ihresgleichen, hielten, ohne sie deswegen gleich mit ungeheuerem Respekt zu behandeln oder den männlichen Beamten mehr Verstand anzurechnen, als die Herren der Schöpfung im Normalfall vorzuweisen hatten. Wenn es darum ging, die Ihrigen zu schützen, waren die Mrs. Demerys sicher genauso bereit zu lügen wie andere Zeugen, doch da sie im Grunde aufrichtig und nicht mit einer überbordenden Phantasie geschlagen waren, sagten sie eigentlich lieber die Wahrheit, weil das alles in allem weniger strapaziös war, und sie sahen hinterher auch keinen Grund, sich mit Gewissensbissen wegen der eigenen Motive oder der Intentionen anderer Leute zu martern. Im Zeugenstand blieben sie fest und unerschütterlich bei ihrer Aussage und konnten im Kreuzverhör gelegentlich auch einmal respektlos entgleisen. Dalgliesh hegte den leisen Verdacht, daß dieser Typ Frauen Männer ein bißchen lächerlich fand, besonders, wenn sie in Robe und mit Perücke auftraten und mit arroganter Stimme über anderer Leute Kopf hinwegdozierten, und daß sie fest entschlossen waren, sich von diesen derart leidigen Kreaturen nicht abkanzeln, unter Druck setzen oder demütigen zu lassen.
Soeben nahm das neueste Modell dieser trefflichen Spezies ihm gegenüber Platz und musterte ihn unverhohlen mit intelligenten, freundlichen Augen. Ihre rötlichblonden Haare waren offenbar frisch gefärbt, und die seitlich und am Hinterkopf hochgekämmte, straff zum Knoten geschlungene Frisur mit dem tief in die Stirn fallenden, stark gekrausten Pony kannte Dalgliesh von Fotos aus der Zeit Edwards VII. kurz nach der Jahrhundertwende. Mit ihrer spitzen Nase und den strahlenden, leicht hervorquellenden Augen erinnerte Mrs. Demery ihn an einen intelligenten Pudel.
Ohne abzuwarten, bis er das Gespräch eröffnete, sagte sie unvermittelt: »Ich hab’ Ihren Dad gekannt, Mr. Dalgliesh.«
»Was Sie nicht sagen, Mrs. Demery! Wann war denn das? Während des Krieges vielleicht?«
»Genau. Mein Zwillingsbruder und ich, wir waren nämlich in Ihrem Dorf evakuiert. Erinnern Sie sich noch an die Carter-Zwillinge? Aber, was red’ ich denn, können Sie ja gar nich’! Da sind Sie ja noch im Klapperstorch seinem Teich geschwommen. War ein feiner Mann, Ihr Dad. Unser Quartier war nich’ im Pfarrhaus, da waren die ledigen Mütter. Nee, wir waren bei Miss Pilgrim in ihrem Cottage. Ach, Gott, Mr. Dalgliesh, was war das schrecklich in dem Dorf! Ich weiß nich’, wie Sie das ausgehalten ham’ als Kind. Mir hat’s seitdem mein Leben lang vorm Land gegraust, ja, das hat’s mir. Immer bloß Schlamm und Regen, und wie das nach Jauche stinkt auf so ’nem Hof! Und langweilig war’s da, zum Gotterbarmen!«
»Tja, für ein Stadtkind gab’s wahrscheinlich nicht viel an Beschäftigung.«
»Das tät ich nu nich’ sagen. Zu tun gab’s schon allerhand, aber sowie man was anpackte, war man auch schon in der Bredouille.«
»Zum Beispiel, wenn man den Dorfbach aufstauen wollte?«
»Ah, davon ham Sie also doch gehört? Aber wie hätten wir denn wissen sollen, daß der olle Bach Mrs. Piggotts Spülküche überschwemmt und daß ihre alte Katze drin ersäuft? So was aber auch, daß Sie das wissen, Mr. Dalgliesh!« In Mrs.
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