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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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begegnet sind. Er schreibt ausgezeichnete Gedichte.«
    »Aber das wissen wir doch alle. Ich wundere mich bloß, daß du nie versucht hast, ihn von seinem jetzigen Verleger loszueisen. Na, hoffentlich taugt er als Kriminalist genausoviel wie als Dichter.«
    »Findet ihr es nicht auch komisch«, meinte Frances, »daß er uns gar nicht nach der Schlange gefragt hat?«
    »Wieso? Was ist denn mit der Schlange?« fragte Claudia scharf.
    »Er hat sich nicht erkundigt, ob wir wissen, wo sie normalerweise hingehört.«
    »Das wird nicht die letzte Unterredung gewesen sein, die wir mit Dalgliesh haben«, sagte de Witt. »Und mit Sicherheit wird er uns auch noch nach der Schlange fragen, verlaß dich drauf.«

22
    Oben im kleinen Archiv fragte Dalgliesh: »Haben Sie Dr. Kynaston schon erreicht, Kate?«
    »Nein, Sir. Der besucht seinen Sohn in Australien. Doc Wardle kommt an seiner Stelle. Er war im Labor, als ich anrief, dürfte also bald hiersein.«
    In Dalgliesh’ Augen waren das ungünstige Startbedingungen. Er war auf die Zusammenarbeit mit Miles Kynaston eingespielt, den er sympathisch fand und darüber hinaus als den wohl hervorragendsten forensischen Pathologen des Landes schätzte. Er hatte – voreilig, wie sich jetzt zeigte – vorausgesetzt, daß es Kynaston sein würde, der sich neben den Leichnam hinkniete und mit seinen Wurstfingern in Latexhandschuhen, die die Hände wie eine zweite Haut umschlossen, den Toten so behutsam untersuchte, als könnten dessen steife Glieder sich immer noch unter seinen tastenden Griffen verkrampfen. Auch Reginald Wardle war ein untadeliger Pathologe; andernfalls hätte die Met, die Londoner Polizei, ihn erst gar nicht genommen. Er würde seine Arbeit gut machen, sein Bericht würde nicht minder gründlich sein als der von Kynaston, und er würde pünktlich auf Dalgliesh’ Schreibtisch landen. Auch im Zeugenstand würde er, falls es soweit kam, eine genauso gute Figur machen wie der Kollege, würde vorsichtig, aber entschieden argumentieren und sich im Kreuzverhör nicht beirren lassen. Trotzdem war er Dalgliesh immer ein wenig auf die Nerven gegangen, und er hatte den Verdacht, diese leichte Antipathie, die nicht stark genug war, als daß sie den Namen Abneigung verdient oder ihre Zusammenarbeit beeinträchtigt hätte, sei beiderseitig.
    Wardle erschien, wenn er gerufen wurde, unverzüglich am Tatort – in der Beziehung konnte man ihm nichts vorwerfen –, aber dann kam er jedesmal so lässig und unbekümmert hereingeschlendert, als wolle er zeigen, wie unwichtig ein Mord, und der hier ganz besonders, für seinen privaten Kosmos sei. Er neigte dazu, seine Untersuchungen mit Seufzern und mißbilligendem Gemurmel zu begleiten, so als handele es sich bei der Leiche um ein eher lästiges denn interessantes Problem, eines, das der Polizei kaum das Recht gab, ihn von den dringenderen Aufgaben in seinem Labor abzuhalten. Am Tatort gab er – vielleicht eine reine Vorsichtsmaßnahme – nur ein Minimum an Information preis, spielte sich aber oft genug so auf, als dränge die Polizei ihn zu einer voreiligen Diagnose. Sein Standardsatz im Angesicht des Leichnams lautete: »Warten Sie’s ab, Commander, warten Sie’s ab! Sowie ich ihn auf dem Tisch habe, wissen wir mehr.«
    Dabei konnte Wardle sich, wenn er es darauf anlegte, wirklich gut verkaufen. Am Tatort mochte er den Eindruck eines stoffeligen und widerwilligen Kollegen erwecken, aber erstaunlicherweise war er ein brillanter Tischredner, der vermutlich an mehr Abendtafeln nassauerte als die meisten seines Berufsstandes. Dalgliesh, dem es nicht in den Kopf wollte, daß ein Mensch freiwillig an einem zeitraubenden und in aller Regel schlechten Hotelessen teilnahm, geschweige denn auch noch Spaß daran fand, und alles bloß für die Genugtuung, sich hinterher produzieren zu dürfen, setzte diese Schrulle insgeheim auf die Liste von Wardles Negativpunkten. Sobald er den Autopsiesaal betrat, war Doc Wardle freilich wie ausgewechselt. Hier schien er, vielleicht weil niemand ihm dies als sein angestammtes Reich streitig machen konnte, nachgerade stolz darauf zu sein, seine beachtlichen Fähigkeiten demonstrieren zu dürfen, ja er legte bereitwillig seine Theorien dar und teilte seine Ansichten freimütig mit.
    Mit Charlie Ferris hatte Dalgliesh früher schon gearbeitet, und er freute sich, ihn diesmal wieder im Team zu haben. Charlie wurde zwar selten direkt bei seinem Spitznamen – »das Frettchen« – gerufen, aber er paßte vielleicht

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