Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
Maxwell gedacht, also kann man’s eigentlich nie wissen, oder? Ich sag’ Ihnen, der Mensch steckt voller Rätsel, jawohl. Ach, ich könnt’ Ihnen allerhand erzählen über das Rätsel Mensch.«
Kate meldete sich zum erstenmal zu Wort. »Miss Etienne war doch sicher ganz erschüttert, als sie ihn so fand. Ihren eigenen Bruder.«
Mrs. Demery schenkte Kate zwar ihre Aufmerksamkeit, schien jedoch nicht gerade erfreut über diese Einmischung einer dritten Person in ihr lauschiges Tête-à-tête. »Stellen Sie mir ’ne ehrliche Frage, und Sie kriegen ’ne ehrliche Antwort, Inspector. Wie erschüttert war Miss Claudia? Das wollen Sie doch wissen, oder? Aber da müssen Sie sie schon selber fragen. Ich weiß es nämlich nich’. Sie hat neben dem Toten gehockt und sich über ihn gebeugt, und solange wie Miss Blackett und ich im Zimmer waren, was ja nich’ lange war, hat sie sich nich’ einmal umgeguckt. Ich weiß nich’, wie ihr ums Herz gewesen ist. Ich weiß bloß, was sie gesagt hat.«
›»Raus hier, alle beide.‹ Ziemlich schroff, nicht?«
»War vielleicht der Schock. Aber da müssen Sie schon selber draus schlau werden.«
»Jedenfalls haben Sie sie mit der Leiche allein gelassen.«
»So hat sie’s anscheinend gewollt, ja. Aber ich hätt’ sowieso nich’ bleiben können. Einer mußte schließlich Miss Blackett die Treppe runterhelfen.«
Dalgliesh fragte unvermittelt: »Arbeitet sich’s eigentlich gut hier, Mrs. Demery? Sind Sie gern bei Peverell?«
»Ich denke, es käme nichts Besseres nach. Sehen Sie, Mr. Dalgliesh, ich bin dreiundsechzig. Schön, das ist nich’ steinalt, und meine Augen und die Beine machen auch noch ganz gut mit, und was die Arbeit angeht, da steck’ ich gewisse Leute immer noch mit links in die Tasche. Aber mit dreiundsechzig fangen Sie nich’ mehr an, sich nach ’nem neuen Job umzusehen, und ich arbeite nun mal gern. Zu Hause würde mir doch bloß die Decke auf den Kopf fallen. Und hier weiß ich, was ich zu erwarten hab’. Bin ja schon an die zwanzig Jahre da. Wär’ vielleicht nich’ jedermanns Sache, aber mir gefällt’s. Und eine günstige Verbindung hab’ ich auch – na ja, so halbwegs. Wohne immer noch in Whitechapel. Hab’ da jetzt ’ne hübsche kleine Wohnung, ganz modern.«
»Und wie kommen Sie zur Arbeit?«
»Bis Wapping mit der U-Bahn und dann zu Fuß. Is’ ja nich’ weit. Und ich gehör’ nich’ zu denen, die sich in London nich’ mehr auf die Straße trauen. Bin schließlich schon in London rumgetigert, wie Sie noch gar nich’ auf der Welt waren. Was der alte Mr. Peverell war, der hat mir ja angeboten, daß er mich mit der Taxe abholen läßt, so wie’s mir morgens mal vor dem Weg grausen tät’. Und das hätt’ der auch glatt gemacht. War schon ein sehr feiner Herr, der alte Mr. Peverell. Und daran sehen Sie auch, wie er mich geschätzt hat. Das freut einen ja denn auch, so ein bißchen Dankbarkeit.«
»Ganz Ihrer Meinung, Mrs. Demery. Aber sagen Sie, wie ist das eigentlich mit dem Archiv geregelt, dem großen Büro vorn und dem kleinen, in dem Mr. Etienne gefunden wurde – ich meine, wer macht da sauber? Sind Sie dafür verantwortlich, oder erledigt das die Reinigungsfirma?«
»Das mach’ ich. Die Putzkolonne geht nie bis in den obersten Stock rauf. Das hat schon der alte Mr. Peverell nich’ gewollt. Sie ham’ ja geseh’n, wieviel Papier da oben rumliegt, und da hatte er Angst, daß die da oben zu qualmen anfangen und womöglich noch ’n Feuer ausbricht. Außerdem sind das lauter vertrauliche Akten. Fragen Sie mich nich’ warum, ich hab’ in ein, zwei reingespiekt, und was ich so gesehen hab’, war da nix drin wie ’n Haufen alter Briefe und Manuskripte. Nich’ daß Sie denken, das wären die Personalakten da oben oder so was in der Art. Nee, da finden Sie keine Geheimnisse. Trotzdem hat Mr. Peverell großen Wert gelegt auf das Archiv, und er wollte auch, daß ich verantwortlich bin für die zwei Kammern da oben. Außer Mr. Dauntsey geht aber kaum mal einer hoch, und drum reiß’ ich mir auch nich’ gerade ’n Bein aus mit dem Putzen. Wär’ ja doch bloß für die Katz. Normalerweise geh’ ich einmal im Monat, immer montags, rauf zum Staubwischen.«
»Und saugen Sie auch den Fußboden?«
»Kommt drauf an. Wenn’s aussieht, als ob er’s nötig hätt’, dann geh’ ich schon mal kurz drüber. Ich sag’ ja, außer Mr. Dauntsey arbeitet keiner da oben, und der macht nich’ viel Dreck. Ich hab’ im Haus alle Hände voll
Weitere Kostenlose Bücher