Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
jetzt steht er ’n paar Zentimeter weiter rechts. An dem grauen Schatten da an der Wand kann man erkennen, wo er vorher gestanden hat. Und Mr. Dauntseys Recorder is’ auch weg. Früher stand hier ja auch noch ’n Bett drin, aber das ham sie rausgenommen, wie Miss Clements sich umgebracht hat. War ja auch ’ne schöne Bescherung. Und jetzt ham wir schon den zweiten Toten in dem Kabuff, Mr. Dalgliesh. Ich denke, es wär’ Zeit, daß sie’s für immer zusperren.«
Bevor sie Mrs. Demery entließen, bat Dalgliesh sie noch, mit niemandem über den mysteriösen zweiten Benutzer ihres Staubsaugers zu sprechen, obschon er wenig Hoffnung hatte, daß sie ihre Entdeckung lange für sich behalten würde.
Nachdem sie gegangen war, fragte Daniel: »Wie verläßlich ist denn diese Aussage, Sir? Ob sie wirklich feststellen kann, daß der Raum erst vor kurzem saubergemacht wurde? Womöglich bildet sie sich das bloß ein.«
»Es ist immerhin ihr Ressort, Daniel. Übrigens hat auch Miss Etienne sich darüber gewundert, wie sauber es hier ist. Und Mrs. Demery gibt selber zu, daß sie sich normalerweise nicht um den Fußboden kümmert. Auf diesem Boden aber liegt kein Stäubchen, nicht mal in den Ecken. Nein, nein, hier hat tatsächlich vor kurzem jemand gründlich saubergemacht, und dieser Jemand war nicht Mrs. Demery.«
24
Die vier Gesellschafter warteten noch immer im Sitzungssaal. Gabriel Dauntsey und Frances Peverell saßen dicht beieinander, doch ohne sich zu berühren, an dem ovalen Mahagonitisch. Frances hielt den Kopf gesenkt, blieb aber ansonsten völlig reglos. De Witt stand am Fenster und preßte eine Hand gegen die Scheibe, als brauchte er eine Stütze. Claudia hatte sich in die Betrachtung eines Canaletto vertieft, der neben der Tür hing, die Kopie einer Ansicht vom Canal Grande. Die erhabene Pracht des Raumes schien die Last an Furcht, Schmerz, Zorn oder Schuld, die jeder von ihnen zu tragen hatte, zu dämpfen oder wenigstens in stilisiertere Bahnen zu lenken. Sie waren wie Akteure in einer übertrieben gestylten Inszenierung, bei der man ein Vermögen für das extravagante Bühnenbild ausgegeben, als Schauspieler aber nur Amateure verpflichtet hat, die ihren Text bloß zur Hälfte können und sich obendrein steif und ungelenk bewegen. Als Dalgliesh und Kate hinausgegangen waren, hatte Frances Peverell gesagt: »Ich bin dafür, daß wir die Tür offenlassen«, und de Witt war kurz darauf wortlos aufgestanden und hatte sie angelehnt. Sie brauchten die Bestätigung, daß die Welt da draußen weiter ihren Lauf nahm, und da half es schon, wenn man, egal wie schwach und in welchen Abständen, von fern die Stimmen der anderen hörte. Die geschlossene Tür hätte allzusehr mit dem verwaisten Stuhl am Tisch korrespondiert: Hier hätte man Gerards stürmischen Auftritt erwartet, dort seinen Vorsitz über die kleine Runde.
Ohne sich umzudrehen, sagte Claudia: »Gerard hat dieses Bild nie leiden können. In seinen Augen wurde Canaletto überbewertet, er fand ihn zu kleinkariert, zu flach. Er hat immer gesagt, er sähe förmlich, wie die Lehrbuben sorgsam jeden Wellenkamm auspinseln.«
»Seine Abneigung galt nicht Canaletto«, sagte de Witt, »sondern nur diesem Bild. Er meinte, er sei es leid, den Besuchern immer wieder erklären zu müssen, daß es nur eine Kopie ist.«
Frances murmelte: »Das Bild war ihm ein Dorn im Auge, weil es ihn ständig daran erinnerte, daß Großvater das Original in schlechten Zeiten für ein Viertel seines tatsächlichen Wertes verkauft hat.«
»Ach was«, widersprach Claudia bestimmt, »er konnte Canaletto nicht ausstehen.«
De Witt trat langsam vom Fenster zurück. »Die Polizei läßt sich aber Zeit. Mrs. Demery wird es vermutlich genießen, ihnen ihre Lieblingsrolle vorzuspielen – die Cockney-Putzfrau mit der scharfen Zunge, aber dem Herzen auf dem rechten Fleck. Hoffentlich weiß der Commander ihren Auftritt zu würdigen.«
Claudia wandte sich nun doch von dem Bild ab, mit dem sie sich bislang so eingehend beschäftigt hatte. »Aber das ist Mrs. Demery nun mal, also kannst du’s kaum ein Rollenspiel nennen. Trotzdem hast du in einem recht: Sie verplappert sich leicht, wenn sie aufgeregt ist. Wir müssen achtgeben, daß uns das nicht passiert. Ich meine, daß wir uns verplappern, zuviel reden, der Polizei Dinge erzählen, die sie nicht zu wissen braucht.«
»Und an was denkst du da?« fragte de Witt.
»Na, zum Beispiel, daß wir uns nicht unbedingt einig waren, was die Zukunft
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