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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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hab’ ihn nicht gefunden.«
    »Du meinst, du konntest ihren alten Ordner nicht finden?«
    »Doch, der war da, und ich hab’ ihn mit raus ins kleine Archiv genommen, um ihn in Ruhe durchzusehen. Aber der Originalvertrag war nicht drin.«
    »Das wundert mich nicht«, sagte Claudia ohne großes Interesse. »Schließlich haben wir sie seit dreißig Jahren im Programm. Der Vertrag ist wahrscheinlich schon vor zwanzig Jahren falsch abgelegt worden.« Und mit plötzlich erwachender Energie setzte sie hinzu: »Hört mal, ich seh’ nicht ein, daß wir hier Däumchen drehen sollen, bloß weil Adam Dalgliesh mit einem Dichterkollegen fachsimpeln will. Wir müssen doch hier nicht so aufeinanderhocken.«
    Frances hatte Bedenken. »Er wollte uns aber doch zusammen befragen.«
    »Das Vergnügen hatte er ja bereits. Jetzt vernimmt er jeden einzeln. Wenn er mich braucht, dann findet er mich in meinem Büro. Seid so gut und sagt ihm das, ja?«
    Als sie draußen war, meinte James: »Eigentlich hat sie recht. Auch wenn uns nicht nach Arbeiten zumute ist – aber hier rumzusitzen, tatenlos zu warten und dauernd auf diesen leeren Stuhl zu starren, das ist noch viel schlimmer.«
    »Aber wir haben ihn doch gar nicht angesehen. Im Gegenteil, wir haben absichtlich dran vorbeigeschaut, fast als ob die Erinnerung an Gerard uns peinlich wäre. Also ich kann jetzt bestimmt nicht arbeiten, aber ich hätte gern noch einen Kaffee.«
    »Dann besorgen wir uns doch welchen. Mrs. Demery muß ja irgendwo im Haus rumschwirren. Ich bin schon sehr gespannt auf ihre Version von dem Gespräch mit Dalgliesh. Wenn das die Atmosphäre nicht ein bißchen auflockert, dann ist Hopfen und Malz verloren.«
    Gemeinsam gingen sie zur Tür. Auf der Schwelle drehte Frances sich zu ihm um. »Ach, James, ich hab’ solche Angst. Ich müßte außer mir sein vor Kummer und Entsetzen. Immerhin waren wir sehr eng befreundet. Ja, ich hab’ ihn mal geliebt, und nun ist er tot. Ich müßte jetzt an ihn denken, an die furchtbare Endgültigkeit seines Todes. Und ich müßte für ihn beten. Ich hab’s auch versucht, aber es sind nur lauter nichtssagende Wörter dabei rausgekommen. Was ich wirklich empfinde, ist ganz und gar egoistisch und unehrenhaft. Ich habe einfach Angst, sonst nichts.«
    »Etwa vor der Polizei? Das brauchst du nicht, Dalgliesh ist keiner, der die Leute schikaniert.«
    »Nein, nein, es ist noch viel schlimmer. Ich hab’ Angst vor dem, was hier vorgeht. Diese Schlange… wer immer das Gerard angetan hat, muß von Grund auf böse sein. Spürst du’s denn nicht auch, daß etwas Böses umgeht in Innocent House? Ich glaube, ich hab’s schon seit Monaten gefühlt. Das heute erscheint mir nur wie die zwangsläufige Steigerung, ein Punkt, auf den all die häßlichen, törichten Streiche der letzten Zeit hingeführt haben. In meinen Gedanken sollte jetzt nur Platz sein für die Trauer um Gerard. Statt dessen empfinde ich nichts als panische Angst und eine schreckliche Vorahnung, daß es noch nicht zu Ende ist.«
    »Bei Gefühlen«, sagte James sanft, »gibt es kein richtig oder falsch. Wir haben keine Gewalt darüber. Im übrigen bezweifle ich, daß irgend jemand hier aus tiefstem Herzen um ihn trauert, Claudia eingeschlossen. Gerard war ein bemerkenswerter Mann, aber liebenswert war er nicht. Was ich empfinde und wovon ich mir einzureden versuche, daß es Trauer sei, ist wahrscheinlich nichts anderes als die allumfassende, ohnmächtige Wehmut, die uns jedesmal ergreift, wenn ein junger, gesunder und begabter Mensch sterben muß. Und selbst dieses Gefühl ist noch überlagert von gespannter Neugier.« Er sah sie eindringlich an und fuhr fort: »Ich bin hier, Frances. Wenn du mich brauchst und falls du mich brauchst – ich bin da. Ich werd’ dir nicht lästig fallen. Und ich werde mich dir nicht aufdrängen, bloß weil der Schock und die Angst uns beide wehrlos gemacht haben. Du sollst nur eins wissen: Wann immer du etwas brauchst, egal was, kannst du zu mir kommen.«
    »Ich weiß. Und ich danke dir, James.«
    Sie streckte die Hand aus und ließ sie sekundenlang auf seiner Wange ruhen. Es war das allererste Mal, daß sie ihn von sich aus berührt hatte. Dann wandte sie sich wieder zur Tür, und indem sie ihm den Rücken kehrte, merkte sie nicht, wie sein Gesicht aufleuchtete in freudigem Triumph.

25
    Zwanzig Jahre zuvor hatte Dalgliesh Gabriel Dauntsey einmal bei einer Dichterlesung im Purcell Room an der South Bank erlebt. Er hatte durchaus nicht vor, Dauntsey

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