Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
öffentlichen
Haushalten gepumpt werden, um ihnen bürgerliches Wohlverhalten
anzuerziehen und sie bei der Stange zu halten. Und wenn sie sich
beklagten, dass ihnen ihre Städte fremd geworden waren, ihre Kinder in
überfüllten Schulen erzogen wurden, in denen neunzig Prozent der
Schüler kein Englisch sprachen, hielten ihnen die anderen, die ihr
Leben unter wohlhabenderen und angenehmeren Umständen führen durften,
Vorträge über die Kardinalsünde des Rassismus. Von keinen gewieften
Steuerberatern geschützt, waren sie die Milchkühe eines habgierigen
Fiskus. Keine lukrativen Einrichtungen für soziales Engagement und
psychologische Grundlagenforschung hatten sich erhoben, um sich ihrer
auf Entzug und Armut gegründeten Defizite anzunehmen und ihnen
Absolution zu erteilen. Vielleicht sollte sie noch etwas über sie
schreiben, bevor sie den Journalismus endgültig an den Nagel hängte,
aber angesichts interessanterer und einträglicher Herausforderungen
wusste sie jetzt schon, dass sie es nicht tun würde. Sie hatten so
wenig einen Platz in ihren Zukunftsplänen wie einen Platz in ihrem
Leben.
In ihrer letzten Erinnerung standen sie und ihre Mutter in der
Damentoilette, beide betrachteten einander in dem langen Spiegel über
einer Vase mit künstlichen Blumen.
Ihre Mutter sagte: »Ronald mag dich, das hab ich ihm
angesehen. Ich bin froh, dass du kommen konntest.«
»Ich auch. Und ich mag ihn auch. Ich wünsche euch, dass ihr
sehr glücklich werdet.«
»Bestimmt. Wir kennen uns seit vier Jahren. Seine Frau hat im
Kirchenchor gesungen. Eine wunderbare Altstimme – ungewöhnlich
für eine Frau. Wir haben uns von Anfang an verstanden, Ron und ich. Er
ist so freundlich.« Ihre Stimme klang etwas selbstgefällig. Mit
kritischem Blick in den Spiegel rückte sie sich den Hut zurecht.
»Er sieht auch freundlich aus«, sagte Rhoda.
»O ja, das ist er wirklich. Er macht keinen Ärger. Und ich
weiß, dass Rita es so gewollt hätte. Sie hat es mir mehr oder weniger
zu verstehen gegeben, bevor sie gestorben ist. Ron hat nie gut allein
sein können. Und wir kommen zurecht – finanziell, meine ich.
Er verkauft sein Haus und zieht zu mir in den Bungalow. Das ist doch
das Vernünftigste, immerhin ist er schon siebzig. Also dieser
Dauerauftrag, meine fünfhundert Pfund monatlich – damit musst
du nicht weitermachen, Rhoda.«
»Ich möchte es beibehalten, es sei denn Ronald hat etwas
dagegen.«
»Nein, nicht deshalb. Ein bisschen Extrageld kann man immer
brauchen. Ich dachte nur, du brauchst es vielleicht selber.«
Sie drehte sich um und strich Rhoda über die linke Wange, eine
so sanfte Berührung, dass Rhoda nur ein sehr leises Beben der Finger an
der Narbe spürte. Sie schloss die Augen, um nicht mit den Wimpern zu
zucken. Aber sie wich nicht zurück.
»Er war kein schlechter Mensch, Rhoda«, sagte ihre Mutter. »Es
lag am Alkohol. Es war nicht seine Schuld, er war krank. Und er hat
dich wirklich liebgehabt. Das Geld, das er dir geschickt hat, nachdem
du aus dem Haus warst – das ist ihm nicht leichtgefallen. Für
sich selber hat er nichts ausgegeben.«
Außer für Schnaps, dachte Rhoda, aber sie
sagte es nicht. Sie hatte sich nie bei ihrem Vater für die fünf Pfund
bedankt, sie hatte ihn nie mehr gesehen, nachdem sie das Elternhaus
verlassen hatte.
Die Stimme ihrer Mutter schien aus tiefem Schweigen zu kommen.
»Erinnerst du dich an die Spaziergänge im Park?«
Sie erinnerte sich an die Spaziergänge in dem Vorstadtpark, in
dem immer Herbst zu sein schien, an die schnurgeraden Kieswege, die
eckigen und die runden Blumenbeete mit den schreienden Farben der
Dahlien, einer Blume, die sie nicht ausstehen konnte; sie war neben
ihrem Vater hergegangen, und keiner hatte ein Wort gesprochen.
»Er war ganz in Ordnung, wenn er nicht getrunken hatte«, sagte
ihre Mutter.
»Ich kann mich nicht erinnern, dass er mal nicht getrunken
hätte.« Hatte sie das gesagt oder bloß gedacht?
»Es war nicht so leicht für ihn, bei der Gemeinde zu arbeiten.
Ich weiß, dass er von Glück sagen konnte, dass sie ihm die Arbeit
gegeben haben, nachdem er bei der Kanzlei rausgeflogen war, aber sie
hat ihn unterfordert. Er war klug, Rhoda, deinen Verstand hast du von
ihm. Er hatte ein Stipendium für die Universität, und das als Bester.«
»Du meinst, er ist Jahrgangsbester gewesen?«
»Ich glaube, das hat er mal gesagt. Auf jeden Fall war er
intelligent. Deshalb war er auch so stolz, dass du aufs Gymnasium
gekommen bist.«
»Ich
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