Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Titel: Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
Vom Netzwerk:
Chandler-Powell und Dr. Glenister voran. Ihre
Schritte klangen unnatürlich laut auf den läuferlosen Holzstufen, die
zu einem Treppenabsatz führten. Zur Rechten stand eine Tür offen, und
Dalgliesh warf einen Blick in einen langgestreckten, niedrigen Raum mit
einer komplexen Decke. »Die Lange Galerie«, sagte Chandler-Powell. »Sir
Walter Raleigh hat dort getanzt, als er im Manor zu Besuch war.
Abgesehen vom Mobiliar ist alles noch so wie damals.«
    Niemand erwiderte etwas. Eine zweite, kürzere Treppe führte zu
einer Tür, die sich auf einen Flur mit Läufer öffnete, an dem rechts
und links Zimmer lagen.
    Chandler-Powell sagte: »An diesem Flur liegen die Unterkünfte
der Patienten, Suiten mit Wohnzimmer, Schlafzimmer und Bad. Die Lange
Galerie im Erdgeschoss haben wir als Gemeinschaftssalon eingerichtet.
Aber die meisten Patienten halten sich lieber in ihrer Suite auf,
manchmal setzen sich welche in die Bibliothek im Erdgeschoss. Schwester
Holland bewohnt die erste Suite auf der Westseite, gleich gegenüber dem
Fahrstuhl.«
    Es war nicht nötig, darauf hinzuweisen, welche Räume Rhoda
Gradwyn bewohnt hatte. Auf einem Stuhl vor der Tür saß ein
uniformierter Beamter, der auf der Stelle aufsprang und salutierte, als
sie näher kamen.
    »Sie sind Detective Constable Warren?«, fragte Dalgliesh.
    »Jawohl, Sir.«
    »Wie lange halten Sie hier schon Wache?«
    »Seit ich mit Inspector Whetstone am Tatort eingetroffen bin,
Sir. Das war um fünf nach acht. Der Streifen klebte schon an der Tür.«
    »Ich habe von Inspector Whetstone den Auftrag bekommen, die
Tür zu versiegeln«, erklärte Chandler-Powell.
    Dalgliesh zog das Klebeband ab und betrat, gefolgt von Kate
und Benton, das Wohnzimmer. Der scharfe Geruch von Erbrochenem stieg
ihm in die Nase, ein überraschender Kontrast zur Einrichtung des Raums.
Linker Hand war die Tür zum Schlafzimmer. Sie war geschlossen, und
Chandler-Powell stieß sie vorsichtig auf, gegen den Widerstand eines
heruntergefallenen Tabletts; Tasse und Untertasse waren zerbrochen, die
Teekanne lag ohne Deckel auf der Seite. Es war dunkel im Schlafzimmer,
das einzige Licht fiel durch die offene Wohnzimmertür. Ein großer
dunkler Teefleck hatte sich auf dem Teppich ausgebreitet.
    »Ich habe hier nichts verändert«, sagte Chandler-Powell.
»Niemand hat den Raum betreten, nachdem die Oberschwester und ich ihn
verlassen haben. Ich nehme an, wir können hier saubermachen, wenn die
Tote abgeholt worden ist.«
    »Erst müssen alle Spuren gesichert sein«, sagte Dalgliesh.
    Der Raum war keinesfalls klein, aber mit fünf Personen schien
er überfüllt. Er war etwas kleiner als das Wohnzimmer, aber seine
elegante Einrichtung hob den dunklen Schrecken dessen, was auf dem Bett
lag, besonders deutlich hervor. Mit Kate und Benton im Gefolge traten
sie an die Leiche heran. Dalgliesh drehte am Schalter neben der Tür das
Licht an und wandte sich der Nachttischlampe zu. Die Birne war
herausgedreht, die Schnur mit dem roten Klingelknopf hing in einer
Schlaufe hoch über dem Bett. Schweigend standen sie neben der Toten,
Chandler-Powell mit etwas Abstand, weil er wohl ahnte, dass er nur
geduldet war.
    Das Bett stand gegenüber dem geschlossenen Fenster, die
Vorhänge waren zugezogen. Rhoda Gradwyn lag auf dem Rücken, die Arme
mit ineinander verklammerten Händen merkwürdig über den Kopf gehoben,
wie in einer theatralischen Geste der Überraschung, das dunkle Haar wie
ein Fächer über das Kissen gebreitet. Die linke Gesichtshälfte bedeckte
eine mit Klebestreifen befestigte chirurgische Kompresse; was an
nacktem Fleisch zu sehen war, leuchtete in hellem Kirschrot. Das rechte
Auge, im Tode getrübt, stand weit offen, das linke, von der Kompresse
teilweise verdeckt, war halb geschlossen, so dass man beim Anblick der
Toten das bizarre und beunruhigende Gefühl bekam, aus einem noch nicht
ganz toten Auge böse angestarrt zu werden. Die Decke verhüllte sie bis
zu den Schultern, als hätte der Mörder sie bewusst so hindrapiert, dass
sein Werk von den beiden Trägern des weißen Leinennachthemds einen
würdigen Rahmen erhielt. Die Todesursache war offenkundig. Sie war von
menschlicher Hand erdrosselt worden. Dalgliesh wusste, dass sich der
spekulative Blick auf eine Leiche – sein eigener machte da
keine Ausnahme – nicht mit dem Blick auf lebendiges Fleisch
vergleichen ließ. Selbst der an den Anblick gewaltsamen Todes gewöhnte
Professionelle konnte einen Rest Mitleid, Zorn und Entsetzen nicht

Weitere Kostenlose Bücher