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Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Titel: Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Identität des Mannes geben, der einen Schritt
beiseitetrat, als sie hineingingen. Er hatte eine Grabesmiene und die
erschöpfte Blässe eines Mannes, der unter Schock steht, ohne seine
Autorität verloren zu haben. Dies war sein Haus, und er hatte nach wie
vor alles und sich selbst im Griff. Ohne die Hand auszustrecken oder
Dalglieshs Untergebene eines Blickes zu würdigen, sagte er:
»Chandler-Powell. Die anderen warten im Großen Saal.«
    Sie folgten ihm über die Veranda zu einer Tür auf der rechten
Seite der quadratischen Eingangshalle. Erstaunlicherweise war die
schwere Eichentür geschlossen, und Chandler-Powell öffnete sie.
Dalgliesh fragte sich, ob der Mann ihren ersten Blick auf den Großen
Saal vielleicht mit Absicht auf diese Weise inszeniert hatte. Er
erlebte einen Augenblick, in dem Architektur, Farben, Formen und
Geräusche, die emporstrebende Decke, der riesige Wandteppich auf der
rechten Wand, die Vase mit Winterlaub auf einem Eichentisch links von
der Tür, die Reihe von Porträts in ihren vergoldeten Rahmen, ein paar
auf den ersten Blick deutlich erkannte Gegenstände, andere, die
vielleicht aus Kindheitserinnerungen oder der Fantasie auftauchten, zu
einem lebendigen Bild zu verschmelzen schienen, das sich ihm
augenblicklich ins Gedächtnis brannte.
    Die fünf Personen, die zu beiden Seiten des Kamins warteten,
die Gesichter ihm zugewandt, standen dort wie zu einem Bild arrangiert,
das dem Raum Identität und Menschlichkeit geben sollte. Es folgte eine
kurze, seltsam peinliche, weil unangemessen erscheinende Formalität,
als Chandler-Powell ihm kurz alle Anwesenden vorstellte. Bei ihm selbst
erübrigte sich das. Der andere Mann musste Marcus Westhall sein, die
blassgesichtige Frau mit dem ausdrucksstarken Gesicht Helena Cressett,
die kleinere dunkle Frau, die einzige, die geweint zu haben schien,
Oberschwester Flavia Holland. Eine große ältere Dame, die am Rand der
Gruppe stand, schien Chandler-Powell übersehen zu haben. Sie trat leise
vor, gab Dalgliesh die Hand und sagte: »Letitia Frensham. Ich kümmere
mich um die Geschäftsbücher.«
    Chandler-Powell sagte: »Soviel ich weiß, kennen Sie Dr.
Glenister.«
    Dalgliesh ging hinüber zu ihrem Sessel, und sie gaben sich die
Hand. Sie war als Einzige sitzen geblieben, und auf dem kleinen Tisch
neben ihr stand der Tee, den man ihr gerade serviert haben musste. Wenn
er sich recht erinnerte, trug sie dieselben Kleider wie bei ihrer
letzten Begegnung, in ledernen Stiefeln steckende Hosen und ein
Tweedjackett, das zu schwer für ihre zarte Gestalt schien. Auf der
Sessellehne lag der breitkrempige Hut, den sie stets keck nach vorn
geneigt trug. Ohne ihn sah ihr Kopf verletzlich aus wie der eines
Kindes, weil viel helle Haut durch das kurzgeschnittene weiße Haar
schimmerte. Sie hatte zarte Gesichtszüge und einen so blassen Teint,
dass sie mitunter wie eine schwerkranke Frau aussah. Dabei war sie
außerordentlich zäh, und ihre dunklen, fast schwarzen Augen waren die
einer viel jüngeren Frau. Dalgliesh hätte, allein aus Gewohnheit,
seinen langjährigen Kollegen Dr. Kynaston vorgezogen, trotzdem freute
er sich, eine Frau zu sehen, die er mochte und respektierte und mit der
er bereits zusammengearbeitet hatte. Dr. Glenister war eine der
angesehensten Pathologinnen in Europa, Autorin exzellenter Lehrbücher
zum Thema und eine hervorragende Sachverständige vor Gericht. Aber ihre
Gegenwart war eine unwillkommene Erinnerung an das Interesse der
Downing Street. Die renommierte Dr. Glenister rief man immer dann, wenn
die Regierung sich einmischte.
    Mit der Behändigkeit einer jungen Frau schnellte sie aus dem
Sessel hoch. »Commander Dalgliesh und ich sind alte Kollegen. Also,
können wir anfangen? Mr. Chandler-Powell, ich würde Sie bitten, uns
jetzt nach oben zu begleiten, falls Commander Dalgliesh keine Einwände
hat.«
    »Keine«, sagte Dalgliesh.
    Wahrscheinlich war er der einzige Polizeibeamte, dem Dr.
Glenister ein Einspruchsrecht bei ihren Entscheidungen einräumte. In
diesem Fall wusste er warum. Es gab medizinische Details, zu denen nur
Chandler-Powell Auskunft geben konnte, andererseits gäbe es Dinge
zwischen ihr und Dalgliesh zu besprechen, die man besser nicht neben
der Leiche und in Anwesenheit des Chirurgen erörterte. Chandler-Powell
gehörte zum Kreis der Verdächtigen, das wusste Dr. Glenister –
und zweifellos wusste es auch Chandler-Powell.
    Sie durchquerten die quadratische Eingangshalle und stiegen
die Treppe hinauf,

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