Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
Augenblick lang schien es
zu zittern, sich verflüchtigen zu wollen wie eine Vision. Das
Tageslicht würde bald schwächer werden; es war der Monat der
Wintersonnenwende. Bald würde die Dämmerung einsetzen, rasch gefolgt
von der Nacht. Er und sein Team mussten in der Schwärze des Winters
Licht in eine dunkle Tat bringen. Für jemanden, der das Licht liebte,
war das ein Nachteil, psychologisch wie auch praktisch.
Als sie auf das Haus zugingen, öffnete sich die Tür zur großen
Veranda, und ein Mann trat zu ihnen heraus. Einen Augenblick lang
schien er nicht zu wissen, ob er salutieren musste, dann streckte er
die Hand aus und sagte: »Chief Inspector Keith Whetstone. Sie sind
schnell gekommen, Sir. Der Chef sagt, Sie brauchen unsere
Spurensicherung. Wir haben nur zwei Leute frei, aber die müssten in
einer Dreiviertelstunde hier sein. Der Fotograf ist auch unterwegs.«
Man käme gar nicht auf die Idee, dass Whetstone etwas anderes
sein könnte als ein Polizist, dachte Dalgliesh, ein Polizist oder ein
Soldat. Er war von schwerem Körperbau, aber aufrechter Haltung. Er
hatte ein schlichtes, aber angenehmes Gesicht mit roten Backen, festem,
wachsamem Blick unter einem Haarschopf von der Farbe alten Strohs, sein
Bürstenhaarschnitt war um die großen Ohren herum sauber ausrasiert.
Über einer Tweedhose trug er einen Mantel.
Nachdem man sich vorgestellt hatte, sagte er: »Haben Sie eine
Ahnung, weshalb die Met übernimmt, Sir?«
»Nicht die leiseste, tut mir leid. Ich vermute, Sie waren
erstaunt, als der Stellvertretende Polizeipräsident angerufen hat.«
»Ich weiß, dass der Chief Constable sich etwas gewundert hat,
aber uns fehlt es nicht an Arbeit. Von den Festnahmen an der Küste
haben Sie sicher gehört. Die Kollegen vom Zoll und die Finanzbehörde
rennen uns die Bude ein. Der Yard sagt, dass Sie einen DC brauchten.
Ich überlasse Ihnen Malcolm Warren. Eher einer der Stillen im Lande,
aber klug, und er weiß, wann er den Mund halten muss.«
Dalgliesh sagte: »Ruhig, verlässlich und diskret. Das hört
sich doch gut an. Wo ist er jetzt?«
»Er steht vor dem Schlafzimmer und bewacht die Leiche. Die
Hausbelegschaft, zumindest die sechs wichtigsten Personen, wie ich
vermute, hat sich im großen Saal versammelt. Das sind Mr.
Chandler-Powell, dem der Laden hier gehört, sein Assistent Mr. Marcus
Westhall – den Mister verdankt er der Tatsache, dass er
Chirurg ist –, seine Schwester Miss Candace Westhall, Flavia
Holland, die Oberschwester, Miss Helena Cressett, eine Art
Haushälterin, Sekretärin und Verwalterin in einer Person, soweit ich
das überblicken kann, und Mrs. Letitia Frensham, die die Bücher führt.«
»Eine erstaunliche Gedächtnisleistung, Chief Inspector.«
»Gar nicht so erstaunlich, Sir. Auch wenn Mr. Chandler-Powell
hier neu ist, wissen die meisten Leute im Dorf, wer sonst noch im Manor
wohnt.«
»Ist Dr. Glenister schon eingetroffen?«
»Vor einer Stunde, Sir. Sie hat Tee getrunken und mit
Mogworthy – er ist unter anderem der Gärtner hier –
einen Rundgang durch den Garten gemacht und ihn bei der Gelegenheit
darauf hingewiesen, dass er den Schneeball zu weit zurückgestutzt hat.
Sie wartet in der Eingangshalle, wenn sie nicht schon wieder
spazierengegangen ist. Die Dame scheint mir ein Faible für Bewegung an
der frischen Luft zu haben. Vielleicht genau die richtige Abwechslung
zum Formalingeruch.«
»Wann sind Sie gekommen?«, fragte Dalgliesh.
»Zwanzig Minuten nach Chandler-Powells Anruf. Ich war darauf
eingerichtet, die Ermittlungen zu leiten, bis der Chief Constable mir
mitgeteilt hat, dass der Yard übernimmt.«
»Schon irgendwelche Vermutungen, Inspector?«
Dalglieshs Frage war auch ein Gebot der Höflichkeit. Das hier
war nicht sein Revier.
Die Zeit mochte zeigen oder auch nicht, warum das
Innenministerium sich eingeschaltet hatte, und dass Whetstone sich
offenbar mit der Übernahme durch das Department abgefunden hatte,
bedeutete nicht, dass er damit einverstanden war.
»Ich würde sagen, der Täter kommt aus dem Haus, Sir. Wenn ich
recht habe, haben Sie es mit einer begrenzten Zahl Verdächtiger zu tun,
was meiner Erfahrung nach die Überführung des Täters nicht erleichtert.
Jedenfalls nicht, wenn er seinen Grips beisammen hat, und das scheint
mir bei den meisten da drinnen der Fall zu sein.«
Sie näherten sich der Veranda. Die Tür öffnete sich, als hätte
sie jemand beobachtet und den richtigen Zeitpunkt abgepasst. Es konnte
keinen Zweifel an der
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