Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
Ihrer Leute so wenig wie möglich stören, aber ganz lässt es
sich nicht vermeiden.«
Chandler-Powell sagte: »Sie werden einen Raum benötigen, der
groß genug ist. Wenn Mrs. Skeffington vernommen und abgereist ist, wäre
die Bibliothek frei, wenn Ihnen das recht ist. Wir könnten sie Ihnen
und Ihren Mitarbeitern auch für die Einzelverhöre zur Verfügung
stellen.«
»Vielen Dank«, sagte Dalgliesh. »Das würde die Sache für beide
Seiten vereinfachen. Aber jetzt muss ich erst einmal mit Mrs.
Skeffington reden.«
Als sie das Büro verließen, sagte Chandler-Powell: »Ich werde
einen privaten Wachdienst beauftragen, dafür zu sorgen, dass wir hier
nicht von den Presseleuten oder neugierigen Dorfleuten belästigt
werden. Ich vermute, das ist auch in Ihrem Sinn.«
»Solange die Männer draußen vor dem Tor bleiben und die
Ermittlungen nicht stören. Und ob das so ist, entscheide allein ich.«
Chandler-Powell erwiderte nichts darauf. Vor der Tür stieß
Benton zu ihnen, und sie machten sich auf den Weg zur Bibliothek und
Mrs. Skeffington.
8
B eim Gang durch den Großen Saal fühlte Kate
sich wieder in dieses intensive Erleben von Licht, Raum und Farbe
gezogen, die tanzenden Flammen des Kaminfeuers, der Schein des
Kronleuchters, der die Düsterkeit des Winternachmittags verwandelte,
die gedämpften und doch klaren Farben des Wandteppichs, die vergoldeten
Bilderrahmen, die farbenfrohen Gewänder und über ihren Köpfen die
dunklen Balken unter der hohen Decke. Wie alles andere im Manor schien
auch der Saal ein Ort zu sein, den man voller Staunen besuchen, an dem
man aber nicht leben konnte. An einem solchen Ort, der einem die
Verpflichtungen der Vergangenheit, die öffentlich getragene Last der
Verantwortung auferlegte, könnte sie nie glücklich werden, und sie
dachte mit stiller Zufriedenheit an ihre lichtdurchflutete, spärlich
eingerichtete Wohnung über der Themse. Die Tür zur Bibliothek
versteckte sich in der Wand rechts neben dem Kamin in der eichenen
Faltenfüllung. Kate bezweifelte, dass sie ihr aufgefallen wäre, wenn
Chandler-Powell sie nicht aufgestoßen hätte.
Im Gegensatz zum Großen Saal erschien ihr der Raum, den sie
jetzt betraten, erstaunlich klein, behaglich und unprätentiös, ein mit
Büchern gefülltes Studierzimmer, das seine Ruhe bewahrte, Regale mit
ledergebundenen Büchern, die Rücken an Rücken und so hoch aufgereiht
standen, als wäre keines von ihnen je herausgenommen worden. Wie immer
taxierte sie den Raum mit einem schnellen verstohlenen Blick. Sie hatte
nicht vergessen, wie AD einmal einen Detective Sergeant, der neu im
Team war, zusammengestaucht hatte. »Wir haben das Recht hier zu sein,
aber wir sind nicht willkommen, Simon. Es ist immer noch deren Haus.
Glotzen Sie nicht alles so an, als müssten Sie taxieren, was die Sachen
auf dem Flohmarkt bringen.« Die Regale, hinter denen sich alle Wände
bis auf die mit den drei großen Fenstern versteckten, waren von
hellerem Holz als die Täfelung des Saals, die Schnitzereien schlichter
und eleganter. Vielleicht war die Bibliothek erst später eingerichtet
worden. Auf den obersten Regalbrettern waren Marmorbüsten aufgestellt,
durch blinde Augen zu bloßen Ikonen entmenschlicht. AD und Benton
wussten sicher, wer die Leute waren, sie wussten sicher auch, aus
welcher Zeit welche Schnitzereien stammten und fühlten sich hier zu
Hause. Sie verdrängte den Gedanken schnell wieder. Inzwischen wurde sie
ganz gut fertig mit diesen leisen Anflügen von intellektuellem
Minderwertigkeitsgefühl, die so unnötig wie lästig waren. Noch keiner
der Mitarbeiter im Team hatte jemals versucht, sie sich weniger
intelligent fühlen zu lassen, als sie war, und eigentlich meinte sie,
diese erniedrigende Halbparanoia mit dem Mordfall auf Combe Island
endgültig über Bord geworfen zu haben.
Mrs. Skeffington saß in einem hohen Lehnsessel vor dem Kamin.
Sie erhob sich nicht, bemühte sich aber, eine etwas elegantere
Sitzhaltung einzunehmen, die dünnen Beine parallel zu halten. Ihr
Gesicht war ein blasses Oval, die Haut spannte sich straff über hohe
Backenknochen, der volle Mund leuchtete unter dick aufgetragenem
scharlachrotem Lippenstift.
Wenn diese faltenlose Perfektion das Ergebnis von
Chandler-Powells Talent war, dachte Kate, dann hatte er gute Arbeit
geleistet. Doch der dunkle, von Altersrunzeln geriffelte und gefältelte
Hals und die von veilchenfarbigen Venen durchzogenen Hände gehörten
nicht zu einer jungen Frau. Das glänzend schwarze
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