Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
oder
Radio zu hören, bis ich müde genug war.«
Dalgliesh fragte: »Und als Sie in den Flur hinausgeschaut
haben, haben Sie dort irgendetwas gesehen oder gehört?«
»Nein, natürlich nicht. Das hätte ich Ihnen schon erzählt. Der
Flur war leer, und es war sehr still. Richtig unheimlich. Nur das
abgedunkelte Licht vor dem Fahrstuhl.«
Dalgliesh fragte: »Wann haben Sie die Tür geöffnet und
hinausgeschaut? Wissen Sie den genauen Zeitpunkt?«
»Um fünf vor zwölf, vermute ich. Länger als fünf Minuten habe
ich sicher nicht am Fenster gestanden. Dann habe ich nach Kimberley
geklingelt, und sie hat mir Tee gebracht.«
»Haben Sie ihr von dem Licht erzählt?«
»Ja. Ich habe ihr erzählt, dass draußen bei den Steinen ein
Licht geflackert hat und ich mich gefürchtet habe und nicht einschlafen
konnte. Deshalb brauchte ich den Tee. Und ich brauchte Gesellschaft.
Aber Kimberley ist nicht lang geblieben. Ich nehme an, sie darf nicht
mit den Patienten plaudern.«
An der Stelle hakte Chandler-Powell ein. »Sie sind gar nicht
auf die Idee gekommen, Schwester Holland zu wecken? Sie wussten doch,
dass sie ihr Zimmer auf demselben Flur hat. Damit sie gleich zur Stelle
ist, wenn ein Patient sie braucht.«
»Sie hätte mich bestimmt für überspannt gehalten. Außerdem hab
ich mich noch nicht richtig als Patientin gefühlt, weil ich noch gar
nicht operiert war. Ich hab ja auch nichts gebraucht, Medikamente oder
ein Schlafmittel oder so.«
Es herrschte Schweigen. Mrs. Skeffington schaute erst
Dalgliesh, dann Kate an, als wäre die Bedeutung ihrer Aussage ihr eben
erst bewusst geworden. »Natürlich kann ich mich getäuscht haben, ich
meine, was das Licht betrifft, immerhin war es spät in der Nacht, und
vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet.«
Kate sagte: »Als Sie auf den Flur hinausgingen, um an die Tür
Ihrer Nachbarin zu klopfen, waren Sie sich da sicher, das Licht gesehen
zu haben?«
»Na, muss ich ja wohl, oder? Ich meine, warum hätte ich sonst
hinausgehen sollen? Aber das muss ja nicht heißen, dass es auch
wirklich da war. Ich war noch nicht lange wach, und als ich auf die
Steine hinuntergeschaut und an die arme Frau gedacht habe, die sie dort
bei lebendigem Leib verbrannt haben, da könnte mir ja auch ein Geist
erschienen sein.«
Kate sagte: »Und vorher, als Sie die Lifttür klappen und den
Lift abwärtsfahren hörten, könnte das auch Einbildung gewesen sein?«
»Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mir den Lift
auch eingebildet habe. Den muss jemand benutzt haben. Das wäre doch
auch gut möglich, oder? Dass jemand von unten zum Patientenflur
hinauffahren wollte? Besuch für Rhoda Gradwyn, zum Beispiel.«
Das sich anschließende Schweigen schien Minuten zu dauern.
Endlich sagte Dalgliesh: »Haben Sie gestern Abend zu irgendeiner Zeit
nebenan etwas gesehen oder gehört, oder draußen vor Ihrem Zimmer, auf
dem Flur?«
»Nein, nichts, gar nichts. Ich wusste nur, dass jemand nebenan
war, weil ich gehört habe, wie die Oberschwester in das Zimmer gegangen
ist. Hier in der Klinik geht alles sehr diskret zu.«
»Miss Cressett wird es Ihnen aber doch erzählt haben«, sagte
Dalgliesh, »als sie Sie in Ihr Zimmer hinaufgebracht hat.«
»Sie hat etwas von einer anderen Patientin auf dem Flur
gesagt, aber nicht, wo sie wohnt oder den Namen. Außerdem wüsste ich
nicht, was das für eine Rolle spielen soll. Das Licht habe ich mir
vielleicht eingebildet. Aber den Fahrstuhl nicht. Vielleicht bin ich
davon aufgewacht, wie er nach unten gefahren ist.« Sie sah Dalgliesh
an. »Und jetzt will ich nach Hause. Mein Mann hat mir versprochen, dass
man mich nicht belästigen wird, dass der beste Mann der Metropolitan
Police den Fall übernimmt und Rücksicht auf mich genommen wird. Ich
möchte keine Sekunde länger in einem Haus bleiben, in dem ein Mörder
frei herumläuft. Genauso gut hätte es mich treffen können. Vielleicht
hatte er es ja eigentlich auf mich abgesehen. Mein Mann hat auch
Feinde. Wie jeder einflussreiche Mann. Und ich habe hier
mutterseelenallein und hilflos in meinem Bett gelegen. Oder wenn er
sich in der Zimmertür geirrt und mich ganz aus Versehen ermordet hätte?
Die Leute kommen als Patienten hierher, weil sie glauben, sie sind hier
sicher. Es ist ja weiß Gott teuer genug. Wie konnte der Kerl überhaupt
hier reinkommen? Ich habe Ihnen alles erzählt, was ich weiß, aber ich
bin nicht sicher, dass ich vor Gericht einen Eid darauf schwören würde.
Ich wüsste auch nicht
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