Adams Erbe (German Edition)
M.C. gab es nicht mehr, und ich, wer auch immer ich sein mochte, brauchte eine Pause von den toten Schafen. Ich überließ Udo den Laden und legte mich ins Bett. Da blieb ich liegen. Der einzige Grund, warum ich das Telefon noch beantwortete, war die Hoffnung, dass du dich doch noch einmal melden würdest.
Zwei Wochen später bekam ich einen Anruf, der mich aus dem Bett zwang. Ich holte Mama und die Huberin am Bahnhof ab. Die Beine der Huberin waren trotz der Minusgrade nackt unter ihrem Hauskittel. Magda Moss-Cohen besaß noch immer ihren Jungmädchencharme, obwohl sie die sechzig überschritten hatte.
»Ich kann sie mir so schlecht tot vorstellen, Eddylein.«
Ich wusste, was sie meinte.
Auf Omas Küchentisch lag die Altardecke, und einen Moment lang standen wir um den Tisch herum und betrachteten den gekreuzigten King. Die Farben waren verblasst, ein paar ausgewaschene Kaffeeflecken sprenkelten das weiße Tuch.
Mama setzte sich ans Klavier, die Huberin durchstöberte die Hausbar, und ich holte den Schlüssel aus der Zuckerdose.
Ich schlich die Wendeltreppe auf Zehenspitzen hoch, denn ich traute auch einer toten Lara Cohen zu, mich wieder herunterzuschleifen. Ich knipste das Licht an, und alles sah genauso aus wie an dem Tag, als Moses vor mir zu Boden gegangen war. Ein aufgeklapptes Buch, der Sessel, der Staub.
Und dann öffnete ich Kisten und Koffer, als ob ich geahnt hätte, dass ich hier oben etwas finden sollte, weil ich etwas finden wollte, weil ich suchte.
Ed M.C. hätte sich nicht die Mühe gemacht, alles zu durchwühlen, aber den gab es ja nicht mehr.
Eingewickelt in braunes Packpapier, eine Briefmarke aus einer anderen Zeit. Der Empfänger: Anna Guzlowski bei A. Cohen. Darunter die Adresse der Wohnung, die einmal mein Zuhause war. Kein Absender. Das Paket war nie geöffnet worden. Ich zerriss das Papier. In meinen Händen hielt ich mein Erbe.
Ich las Seite um Seite. Es war, als hörte ich meine eigene Stimme, als ob meine Stimme seine Geschichte erzählen würde.
Das hier ist meine Geschichte und Adams Geschichte. Auf diesem Dachboden haben sie sich ineinander verschlungen. Ich habe Adams Nase, seine Augen, seinen Mund und diesen Stapel Papier geerbt, der seinen wahren Empfänger nicht erreicht hat.
II
Adam
Liebe Anna,
meine Mutter hat immer gesagt, dass es noch ein schlimmes Ende mit mir nehmen wird, und Edda Klingmann hat immer behauptet, dass Adam einmal Großes vollbringen wird.
Irgendwie haben sie beide recht behalten.
Anna, ich hoffe, dass dieses Buch dich eines Tages finden wird. Mich und viele andere wird es dann nur noch auf diesen Seiten geben. Hör dir meine Geschichte an, die auch ein Teil deiner Geschichte ist.
Ich wurde unmittelbar nach dem Krieg gezeugt. Es war die letzte Tat, die mein Vater, Maximilian Cohen, vollbrachte, bevor er sich in sein Zimmer einsperrte, um nie wieder herauszukommen. Das war 1919.
Mein älterer Bruder Moses und ich durften Vaters Zimmer nicht betreten. Dieses Verbot, gepaart mit Maximilian Cohens häufigen Schreien, zog mich geradezu magisch an. Ich habe ganze Nächte vor seiner Tür verbracht. Manchmal guckte ich durchs Schlüsselloch, so lange, bis ein Schuh oder ein Buch gegen die Tür flog. Ich kannte meinen Vater nur von einer Fotografie im Wohnzimmer.
Der zweite verführerische Ort war der Dachboden, auf dem Edda Klingmann wohnte. Edda ist meine Großmutter, die Mutter meiner Mutter, aber ich durfte sie weder Oma noch Großmutter nennen. Eine ganze Weile bestand sie darauf, dass Moses und ich sie mit Frau Klingmann anredeten. Man habe sie schließlich nicht gefragt, ob sie überhaupt Enkel haben und eine Oma sein wolle. Sie war erst Ende vierzig, als ich auf die Welt kam. In den ersten Jahren machte Frau Klingmann einen großen Bogen um mich, denn ein ständig heulendes Wesen, das in seine Windeln kackte, langweilte sie. Und sie zu langweilen war eine Todsünde.
Ich muss ungefähr fünf gewesen sein, als wir Freundschaft schlossen und ich sie Edda nennen durfte. Moses war vier Jahre älter als ich, aber er und Frau Klingmann sind nie wirklich warm miteinander geworden. Nur ganz, ganz selten durfte auch er sie Edda nennen. Anfangs erlaubte Edda mir, sie einmal am Tag auf dem Dachboden zu besuchen. Ich musste anklopfen und warten, bis sie mich hereinbat, manchmal ließ sie mich über eine Stunde vor der Tür stehen.
Edda Klingmann war eine Walküre, groß und üppig mit einem gigantischen Busen. Sie trug mit Vorliebe hautenge,
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