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Adams Erbe (German Edition)

Adams Erbe (German Edition)

Titel: Adams Erbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Rosenfeld
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das Haus verlassen hatte, saß ich im Wohnzimmer vor dem Ofen und spielte mit den Zinnsoldaten, die Maximilian Cohen als Geschenk für seinen noch ungeborenen Sohn zurückgelassen hatte, bevor er in den Krieg zog. Es waren also eigentlich Moses’ Zinnsoldaten, aber er erlaubte mir, mit ihnen zu spielen.
    Eines Nachmittags, kurz nach meinem Dichterabend, hockte ich mit Vaters Soldaten vor dem Ofen, als Moses sich zu mir setzte. In der einen Hand hielt er mein Notizbuch, mit der anderen streichelte er mir über den Kopf.
    »Adam, du kannst gar nicht richtig schreiben. Schau mal, du hast jedes Wort falsch geschrieben. Mund mit zwei ›n‹?«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Adam, was soll denn aus dir werden? Wenn du nicht schreiben kannst, darfst du nicht studieren.«
    Moses war zwar fast fünf Jahre älter als ich, aber auch er war noch ein Kind. Und doch schon so wahnsinnig vernünftig.
    »Ich will gar nicht studieren. Ich bin ein Poet.«
    Und dann erklärte Moses mir, dass fast alle Poeten an Hunger sterben würden. Irgendwie musste mich das beeindruckt haben, denn schon bald darauf gab ich das Dichten auf. Was Edda Klingmann als Einzige zutiefst bedauerte.
    Es war kaum zu glauben, dass dieser erschütternde Schrei aus dem Munde meiner Mutter kam. Wer hätte geahnt, dass ihre Stimmbänder zu solchen Leistungen fähig waren? Ich half Edda die Treppen hinunter, denn es war Hugos Geburtstag, der dritte in diesem Jahr, und an seinen Geburtstagen trank sie ihm zu Ehren immer eine ganze Flasche Asbach.
    Während ich mit Edda die Treppe runterwankte und unter ihrem Gewicht fast zusammenbrach, schrie meine Mutter noch einmal und noch einmal. Als wir das Zimmer meines Vaters erreichten, kam auch Moses angelaufen, der Mutters Schreie vom Innenhof aus gehört hatte.
    Ich war acht, fast neun, und sah zum ersten Mal meinen Vater. Er war tot und lila im Gesicht. Er trug seine Uniform mit drei Orden auf der Brust. Mein Vater hatte nur ein Bein, das andere war wohl in Frankreich geblieben. Meine Mutter weinte nicht, sie brüllte einfach, bis Edda ihr den Mund zuhielt. Es war still. Vier von fünf atmeten, aber ansonsten war es still.
    Dann zerriss Mama ihren Rock und flüsterte ein Gebet, während Moses und ich nicht aufhören konnten, unseren einbeinigen Vater anzustarren. Maximilian Cohen hatte sich selbst mit einem Kissen erstickt.
    »Greti«, sagte Edda und nahm ihre Tochter in den Arm. »Er wollte gehen, sonst schafft man das nicht.«
    »Aber warum jetzt? Warum ausgerechnet jetzt?«
    »Was wissen wir schon von der Hölle der anderen? Nichts, Greti, nichts.«
    Und weil der Asbach sie aus dem Gleichgewicht brachte, setzte Edda sich auf die Bettkante und tätschelte die kalten Hände ihres Schwiegersohns. »Ein Bart hätte ihm gut gestanden«, sagte sie und seufzte.
    Obwohl mein Vater jetzt unter der Erde lag, war sein Zimmer noch immer Sperrgebiet für mich. Dreimal am Tag suchte meine Mutter den leeren Raum auf, und nun waren es ihre Schreie und nicht mehr seine, die dann und wann durch die Wohnung peitschten.
    Es war fast so, als ob er noch immer da wäre, ja zwischendurch vergaß ich sogar, dass er tot war.
    Mama besuchte nun in aller Regelmäßigkeit die Synagoge, Moses wurde ihr ständiger Begleiter und lernte Hebräisch.
    »Ich dachte, sie würde noch einmal aufblühen, jetzt wo der Soldat aus dem Haus ist, aber nein, was macht sie? Sie rennt in den Tempel«, sagte Edda, als ich mit ihr den Kurfürstendamm entlanglief. Wir bogen in die Uhlandstraße ein, und ich platzte vor Neugier, denn Edda hatte mir nicht verraten wollen, wo wir hingingen. »J. Bussler« stand am Türschild.
    »Maestro.« Sie umarmte den wieselartigen Mann, und sein Kopf verschwand zwischen ihren riesigen Brüsten. Der Maestro hieß Julian Bussler. Er hatte nur noch einen einzigen Finger. Und dieser Finger, der rechte Ringfinger, wirkte in seiner Einsamkeit vollkommen fehl am Platz. Ich hätte ihn gerne abgerissen. Seine Handballen und der eine Finger steckten in schwarzem Leder.
    Über der ganzen kalten Wohnung schien eine Staubdecke zu liegen, die jede Farbe ihrer Kraft beraubte.
    »Frau Klingmann, hinreißend, Sie sehen hinreißend aus. Und das ist also Adam?« Er verbeugte sich vor mir. »Ich kannte deinen Vater.«
    »Er ist tot«, sagte ich.
    »Ich weiß, ich weiß. Mein herzliches Beileid. Wir waren zusammen in Frankreich, Max und ich. Ihm verdanke ich, dass ich nur neun Finger verloren habe. Ohne Max wäre ich…«
    »Mein Vater hat ein Bein

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