Adams Erbe (German Edition)
verloren.«
Er nickte, und während er über Maximilians Mut redete, stellte ich mir eine Wiese mit allen möglichen Körperteilen vor. Füße, Hände, irgendwo dazwischen die Finger von Bussler und das Bein meines Vaters. Und ein Schild in verschiedenen Sprachen: ›Bitte etwas dalassen‹.
»Der Maestro war ein General«, sagte Edda und riss mich aus meinen Gedanken.
»Oberstleutnant, liebe Frau Klingmann. Aber jetzt setzen Sie sich, setzen Sie sich, bitte. Einen Moment Geduld, ich hole sie.« Er trippelte davon, während Edda und ich auf dem feuchten Sofa Platz nahmen.
Als Bussler zurückkam, dachte ich zuerst, dass er ein sehr hässliches Kind oder ein verschrumpeltes Tier in den Armen hielte, aber es war ein Geigenkasten. Er stellte ihn auf den Tisch, und mit seinem einen Finger ließ der Maestro die Scharniere aufspringen. Ich weiß nicht, warum ich so überrascht war, dass in dem Geigenkasten tatsächlich eine Geige lag, ich hatte etwas Geheimnisvolleres erwartet.
»Das ist sie.« Er lächelte andächtig »Eine Klotz. Ich behaupte, sie klingt sinnlicher als eine Stradivari.«
»Bussler, sind Sie sich sicher, dass Sie sie wirklich verkaufen…?«
»Ja.«
Dann öffnete Edda ihre monströse Handtasche und legte zwei Goldbarren neben das Instrument. Der schwarze Ringfinger strich über das glänzende Metall.
»Sie retten mein Leben.«
Ich verstand nicht, was da vor sich ging. Wie konnten zwei Klötze Gold jemandem das Leben retten? Ich wusste nichts von Armut. Dunkle Wolken brauten sich zusammen, aber Edda Klingmann hielt alle Sorgen von mir fern. Noch war die Geschichte nicht in unserem Wohnzimmer angelangt.
»Hiermit«, er hielt seine Hände hoch, »kann ich ohnehin nicht mehr spielen, nicht wahr?«
»Da haben Sie wohl recht, Maestro.«
»Und es wird mir eine Freude sein, Adam zu unterrichten. So kann ich sie ja weiterhin sehen. Meine Klotz.«
Ich zuckte zusammen, als mein Name fiel. Edda Klingmann hatte also für zwei Goldbarren eine Geige für mich erstanden, und der einfingrige Leutnant sollte mein Lehrer werden. Damit Adam Cohen dereinst Großes erreichte.
»Aber jetzt holen Sie mal Gläser, Bussler.« Sie zog eine Flasche Asbach aus der Tasche.
Flink klemmte der Maestro das Glas zwischen seine Handflächen und stürzte den Weinbrand in einem Rutsch runter. »Musik, Adam, Musik ist Gottes größtes Geschenk an uns Menschen. Ich wollte eigentlich Geigenbauer werden, da wäre man ein wenig Gott, nicht wahr? Der Ursprung der Musik: Holz, Leim, ein paar Rosshaare, und am Ende eine Violine. Aber mir fehlte das Geschick.«
Edda und Bussler tranken weiter, und die Augen des armen Maestros, der den Alkohol nicht gewohnt war, standen schon bald schief.
»Was macht die Politik, Bussler? Wie geht es Ihrem schnurrbärtigen August in München?«
»Adolf«, sagte er streng.
»Adolf, August. Was bedeutet schon ein Name? Aufs Gesicht kommt es an.«
»Er ist ein großer Mann, und Weimar wackelt, meine Liebe. Weimar wackelt.«
Der Leutnant wollte mit den Handflächen erneut sein Glas ergreifen, aber es gelang ihm nicht.
»Warten Sie, ich helfe Ihnen.« Und Edda führte ihm das Glas an den Mund.
»Es ist demütigend… demütigend, ich kann nicht einmal meinen eigenen Becher halten. Schlimme Zeiten sind das.«
»Papperlapapp, trinken Sie, Bussler, und jammern Sie nicht.«
Erst als die Flasche leer war, brachen wir auf, und fast hätte ich die Geige liegen gelassen. Der schwankende Leutnant geleitete uns zur Tür und vergrub zum Abschied noch einmal sein Gesicht in Eddas Busen.
Eine Woche später machte ich mich samt Geige auf den Weg zu meiner ersten Unterrichtsstunde. In Busslers Wohnzimmer war es warm, und im Ofen brannte ein Feuer, der Glanz der Goldbarren schien ein wenig auf das nicht mehr ganz so staubige Mobiliar abgefärbt zu haben. Ich holte das Instrument aus dem Koffer und sah, wie der Maestro mich mit angehaltenem Atem und weit aufgerissenen Augen beobachtete.
»Vorsichtig, Adam, vorsichtig. Sie ist empfindlich.«
Es war, als würde man die Frau eines anderen vor seinen Augen küssen. Die Geige fühlte sich von Anfang an falsch in meinen Armen an. Fühlte sich falsch an unter seinen Blicken.
Nach einer halben Stunde war uns beiden klar, dass ich keinerlei Talent besaß.
»Da hilft nur üben, üben und nochmal üben, und trotzdem wirst du höchstens mittelmäßig bleiben.«
Zum ersten Mal an diesem Tag huschte ein Lächeln über sein Gesicht, und ich lächelte zurück, weil es mir
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