Adams Erbe (German Edition)
bisschen mehr Sachlichkeit, schließlich ist Herr Doktor Frank Minister«, sagte er ernst.
»Aber er hat recht. Weiter, Adam.«
»Ich glaube, er ist weder witzig noch ehrlich.«
»Bravo, Adam.« Edda klatschte in die Hände.
»Woran siehst du das?«, fragte Bussler unsicher.
»An seiner Mundpartie. Und an seiner fleischigen Stirn.«
Bussler betrachtete Frank genauer, berührte dessen Lippen und dessen Stirn.
»Hier, versuchen Sie es einmal selbst«, sagte Edda und reichte ihm ein Foto von Göring.
»Er frisst zu viel«, sprudelte es aus dem Sturmbannführer heraus. Als seine Worte verhallten, schlug er sich erschrocken auf den Mund. »Ich meine, er ist ein großer Mann, ein…«
»Bussler, hören Sie auf, mich zu langweilen.«
»Frau Klingmann, man riskiert sein Leben mit solchen unbedachten Äußerungen.«
»Das sind seltsame Zeiten. Wenn man sein Leben riskiert, nur weil man feststellt, dass ein übergewichtiger Mann eventuell zu viel Nahrung zu sich nimmt. Merkwürdige Zeiten, nicht wahr?«
Und sie gab Bussler ein Gläschen Asbach und ein zweites und ein drittes, bis er den gefräßigen Göring und was seine Sturmbannseele sonst noch quälte, vergaß.
Ich lief mindestens einmal am Tag in den kleinen Laden, um für Edda Zigaretten zu kaufen, und ich hatte die Erlaubnis, die Packungen sofort aufzureißen und mir die Bilder anzusehen. Es gab da eine Serie »Deutschland erwacht«. Nachdem Augusts Schergen Röhm umgebracht hatten, stellte die Zigarettenfirma die Produktion seines Porträts ein. Trotzdem mussten noch einige dieser Röhm-Bilder im Umlauf sein, und ich war besessen von dem Gedanken, eines zu finden.
Ein paar Wochen nachdem ich den Ziegenpeter wieder los war, wurde mein Wunsch erfüllt. Unten vor der Haustür fand ich Röhm in einer Zigarettenschachtel. War dieses alberne Bildchen nicht der Beweis dafür, dass es eine Lücke gab, dass auch ihre Befehle nicht allmächtig waren?
Mein Gesicht brannte vor Aufregung, als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte.
»Adam, was machst du hier auf der Straße?«
Mein Bruder stand hinter mir. Ich versuchte, das Röhm-Bild unter den Zigarettenpackungen zu verstecken.
»Oma raucht zu viel«, sagte er und lächelte.
»Edda. Sie heißt Edda.«
»Zeig mir doch mal das Bild.«
Ich schüttelte den Kopf und rannte ins Haus.
»Ich will es dir doch nicht wegnehmen«, rief Moses mir hinterher, aber ich traute ihm nicht. Einmal hatte er mir nämlich den Stürmer abgenommen und in tausend kleine Stückchen gerissen. Er verstand einfach nicht, dass uns keine Zeitung zu dämlich war, als dass wir in ihr nicht nach neuen Gesichtern gesucht hätten.
Strund versuchte, mir Rechnen beizubringen, während ich im Wohnzimmer meine Kreise zog. Im Ofen kämpfte ein Feuer gegen den eiskalten Februar an. Doktor Kieler und meine Mutter saßen auf dem Sofa und kommentierten meine mathematischen Bemühungen, was die Sache für mich nicht einfacher machte.
»348?«, fragte ich, nachdem ich gute zehn Minuten über die Lösung der Aufgabe nachgedacht hatte. 348 war eine willkürliche Zahl, ich hätte genauso gut 750 oder 233 sagen können.
»Das ist falsch«, rief Kieler, noch ehe mein Lehrer etwas sagen konnte.
»Adam, was soll denn nur aus dir werden? Du bist fünfzehn und kannst nicht mal rechnen«, seufzte meine Mutter.
Normalerweise fand mein Unterricht auf Eddas Dachboden statt, aber heute erwartete sie Luigi, der ihrem Haar einen frischen Blaustich verpassen sollte. Doch Luigi kam nicht. Und gerade als sich ein entnervter Strund verabschiedete, stapfte Edda wutentbrannt die Treppe herunter und griff zum Telefon.
Der Ostwind peitschte unsere Nasen rot. Edda schleifte mich die Wilhelmstraße entlang, und jedes Mal, wenn uns jemand anhielt und fragte, wo wir denn hinwollten, brüllte Edda mit einer Vehemenz, die sämtliche Eingeweide zum Wackeln brachte: »Zu SS -Sturmbannführer Bussler«, und man ließ uns weiterziehen.
Wir standen in der Eingangshalle des Palais und warteten. Schließlich kam Bussler. Als er uns sah, wich alle Farbe aus seinem Gesicht.
»Um Gottes willen, was machen Sie denn hier?«
Edda trommelte gegen seine Brust. »Ihr habt meinen Friseur, und den will ich wiederhaben, Bussler. Geben Sie mir meinen Friseur zurück.«
»Frau Klingmann, bitte, sprechen Sie leiser.«
»Rücken Sie meinen Friseur heraus, Bussler.«
Der Maestro führte uns nach draußen. In sehr beherrschtem Ton erklärte Edda dem Sturmbannführer, dass man Chaim, Luigi, ihren
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