Adams Erbe (German Edition)
dann drückte er die Finger der einen Hand mit den Fingern der anderen in alle möglichen Richtungen.
»Und gewachsen sind Sie auch, lieber Bussler«, sagte Edda und lächelte fast harmlos.
»Spezialeinlagen. Wie Sie sehen, komme ich als Sieger zurück.«
»Wen haben Sie denn besiegt, Maestro?«
Er schüttelte den Kopf und lachte. »Frau Klingmann, lassen Sie uns anstoßen und meine Versetzung nach Berlin feiern.«
Edda trat zur Seite und ließ Bussler herein. Wie versteinert blieb er vor unserer Wand stehen. Sein Blick bekam etwas Hündisches.
»Was…?«
»Bussler, Sie müssen nicht gleich salutieren. Ich schau sie mir halt gerne an. Oder ist das verboten?«
Der Maestro setzte sich und formte seine Finger so, dass sie das Glas halten konnten. Nach zwei kräftigen Schlucken Asbach entspannte sich seine Miene. Edda betrachtete ihn aufmerksam. Die Uniform schien ihr, im Gegensatz zu mir, etwas zu verraten.
»Also, Herr Leutnant, was sind Sie jetzt in Ihrem neuen Verein? Ihr Titel? Oder Rang? Oder wie auch immer die korrekte Bezeichnung lauten mag.«
»Sturmbannführer.«
»Und Sie bespitzeln Leute?«
»Nein, werte Frau Klingmann, ich bin für die Sicherheit zuständig.«
»Also Sie bespitzeln Leute«, wiederholte Edda scharf.
»Der SD bespitzelt keine Leute.«
»Es gibt Menschen, die behaupten, dass er genau das tut.«
»Wer?«, fragte er barsch.
»Hupfi zum Beispiel.«
»Hupfi ist Kommunist. Wollen Sie etwa, dass uns die Kommunisten regieren?«
»Habe ich denn eine Wahl, lieber Bussler?«
Ohne einander aus den Augen zu lassen, leerten sie ihre Gläser.
»Herr Leutnant, können Sie jetzt wieder Geige spielen?«, fragte ich in die unheimliche Stille hinein.
»Adam, der Herr Leutnant heißt jetzt Herr Sturmbannführer.«
»Herr Sturmbannführer, können Sie jetzt Geige spielen, mit den neuen Fingern?«
»Nein, nein. Mehr als zwei Töne bringe ich nicht zustande.« Wehmut vibrierte in seiner Stimme. Und dann – als ob er sich selbst jede Sentimentalität verbieten wollte – klopfte er auf den Tisch und sagte: »Aber für so was bleibt mir ohnehin keine Zeit, wir haben schrecklich viel zu tun.«
»Wie traurig, keine Zeit mehr für das Göttliche zu haben…«
»Wie bitte?«
»Erinnern Sie sich nicht mehr, Herr Sturmbannführer, die Musik, Gottes größtes Geschenk? Oder erlauben Ihnen Ihre neuen Aufgaben, sich auch ein bisschen wie Gott zu fühlen? Sind Sie ein wenig Gott geworden in München?«
Als Bussler an diesem Nachmittag ging, dachte ich, dass er nicht wiederkommen würde. Aber ich irrte mich. Schon ein paar Tage später klopfte er an die Tür des Dachbodens, und von da an besuchte er uns in aller Regelmäßigkeit.
Sobald mein ehemaliger Geigenlehrer auftauchte, verabschiedeten sich die anderen Gäste auffällig schnell, was weder er noch Edda kommentierten. Meine Mutter kannte den Sturmbannführer aus längst vergangenen Zeiten, als sie noch einen Mann mit zwei Beinen hatte und ein Kaiser dieses Land regierte. Sie schien sich nicht entscheiden zu können, ob die Besuche des uniformierten Maestros sie beruhigen oder beunruhigen sollten.
Moses, der sich ebenso wenig wie ich an den einstigen Julian Bussler erinnern konnte, legte jedes Mal seine Stirn in Falten, wenn er mit festem Schritt die Treppen hochkam. Im letzten Jahr hatte mein frommer Bruder sein Abitur gemacht, aber man verweigerte ihm den Zutritt zur Universität. Bussler bot an zu helfen, doch Moses wollte seine Hilfe nicht. Und in seine hebräischen Gebete, die noch vor kurzer Zeit fast ohnmächtig klangen, mischte sich Wut.
Anstatt Medizin zu studieren, schrubbte er nun im Krankenhaus Flure und reinigte Bettpfannen. Seine nichtjüdischen Freunde aus der Schule vergaßen meinen Bruder. Sie taten das, wovon er immer geträumt hatte, und ihre Leben hatten nur noch wenige Berührungspunkte. Doch als die Türen der Universität zuknallten, öffnete sich eine andere. Neue Freunde und ein neuer Traum lagen dahinter. Der Traum hieß Israel.
In diesem Sommer säuberten die Nazis die eigenen Reihen. Der arme Bussler wirkte angespannt bis zum Zerreißen. Eine Weile kam er nur noch selten zu uns auf den Dachboden. Frau Klingmann und ich wussten längst, dass Röhm nichts taugte. Wir hatten geahnt, dass man ihn eines Tages einfach überrollen würde. Dieses feiste, dümmliche Gesicht. Aber wir hätten nie gedacht, dass die Partei selbst ihn abknallen würde.
»Sturmbannführer, in was für einen Verein sind Sie denn da bloß
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