Adams Erbe (German Edition)
einmal ausgestreckt, sondern nachlässig eingeknickt.
Wir saßen allein in einem Abteil erster Klasse. Ab und zu streckte ein uniformiertes Vereinsmitglied seinen Kopf durch die Tür und plauderte ein paar Minuten mit dem Herrn Sturmbannführer. Jedem wurde ich als Anton Richter, der neue Rosenzüchter des Generalgouverneurs, vorgestellt. Die meisten dieser SS -Männer hatten einen niedrigeren Dienstgrad als mein Maestro und zollten ihm Respekt, einige auf eine höflich selbstbewusste Art, andere wirkten geradezu kriecherisch.
Irgendwann schloss der Sturmbannführer unsere Abteiltür und zog die Vorhänge zu.
»Bussler, was machen Sie eigentlich so genau?« Seitdem er einer von Himmlers Männern war, hatte ich ihn noch nie danach gefragt. Was macht ein Sturmbannführer? Führt er einen Sturm? Bannt er einen Sturm?
»Leise, Ada… Anton«, zischte der Maestro.
»Die Tür ist doch zu… Also, was machen Sie? Nur so ganz grob.«
»Ich sitze an einem Schreibtisch und arbeite. Und jetzt Ruhe.«
Bussler schloss demonstrativ die Augen. Sein rechtes Knie zitterte unaufhörlich, und ich dachte an das, was ich gerade zurückließ, und an das Unbekannte, das vor mir lag.
»Maestro?« Ich stupste ihn vorsichtig an.
»Ich schlafe, wie du siehst.«
»Bitte, nur noch eine Sache.«
»Was?«
»Werden Sie herausfinden können, ob Edda mit nach England gegangen ist?«
Bei dem Klang ihres Namens huschte ein Lächeln über Busslers Mund, und sein Knie hörte auf zu zucken. Der Maestro wusste von den Londonplänen und hatte sie enthusiastisch befürwortet.
»Ja, Adam«, sagte er sanft.
»Anton, Bussler, Anton.«
In Krakau holte uns ein Wagen ab und brachte uns in Busslers Dienstwohnung. Als wir eintraten, musste ich an die staubige, kalte Behausung meines Geigenlehrers damals in der Uhlandstraße denken. Wie anders sah es doch hier aus. Wofür brauchte der Sturmbannführer, ein alleinstehender Mann, zwölf Zimmer und drei Bäder?
»Bussler, Sie leben ja wie ein Fürst.«
»Die habe ich zugeteilt bekommen. Viel zu groß, viel zu…«
Ich ging staunend durch die riesigen Räume mit ihren prunkvollen Möbeln. Es gab Vitrinen voller Porzellanfigürchen. Mit Samt bezogene Sessel. Orientalische Teppiche auf dem dunklen Parkettboden. Kronleuchter aus Kristall. Auf einer Kommode, aufgebahrt wie eine heilige Reliquie, Busslers Geige. Schwere Gemälde schmückten die meisten Wände, aber in einem Zimmer hingen gerahmte Fotografien an der seidenen Tapete. Familienbilder. Manche Gesichter tauchten nur einmal auf, andere öfter. Ein Hund, der wie ein Wollknäuel aussah, und ein Junge, unzertrennliche Kameraden. Diese Wand erzählte von ihrer jahrelangen Freundschaft.
Bussler stand hinter mir. »Wo sind diese Leute jetzt?«, fragte ich.
»Ich weiß es nicht.«
»Haben die hier gewohnt?«
»Ich denke.«
»Und das alles hier hat ihnen gehört?«
»Wahrscheinlich.«
»Mussten sie fliehen?«
»Adam, ich weiß es nicht. Vielleicht sind sie geflohen. Vielleicht hat man sie umgesiedelt, vielleicht…«
»Man? Wer ist ›man‹?«
»Adam, ich habe dir gesagt, dass Krakau nicht Berlin ist. Im Krieg…«
»Ich heiße Anton Richter, Herr Sturmbannführer.«
Er zog mich aus dem Zimmer. »Lass uns was essen gehen.« Er klang unendlich müde.
Nach dem Essen liefen wir durch die dunkle Stadt, und Bussler zeigte mir den Wawel, die Krakauer Burg, auf der nun Hitlers Fahne wehte.
Unter dem Wawelhügel soll einmal, vor vielen hundert Jahren, ein Drache gehaust haben, ein jungfrauenfressender Drache, der die Krakauer in Angst und Schrecken versetzte. Und jetzt hockte da oben auf der Burg Dr. Hans Frank und spielte das jungfrauenfressende Ungeheuer, als wären nicht Hunderte von Jahren vergangen. Wenn er sich wenigstens ein Drachenkostüm übergeworfen hätte. Anstandshalber.
Zurück in der Wohnung, machte Bussler uns einen Tee, und ich fragte mich, ob der Tee vielleicht auch schon da gewesen war, als mein Sturmbannführer hier einzog. Ob der Junge mit dem Hündchen wohl auch davon getrunken hatte? Bevor Augusts Bagage, samt ehemaligem bayrischem Justizminister, hier aufgekreuzt war. In einer Zeit, als man Drachen nur aus uralten Sagen kannte.
»Adam…«
»Sie dürfen mich nicht mehr so nennen.«
»Ja, du hast vollkommen recht. Adam, darf ich dich etwas fragen?«
»Also, fragen Sie.«
»Das Mädchen, Anna… Was ist so besonders an ihr, dass du das alles auf dich nimmst?«
Ich dachte nach, während Bussler mich eindringlich
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